62 1I.Buch. Die Rechtssubjekte und ihre allgem. Rechtsstellung.
Völkerrecht zu schaffen vermag, und daß dieses zu allgemeinem
Völkerrecht nur durch die ausdrückliche oder stillschweigende An-
erkennung von seiten der übrigen Staaten wird (Neutralisierung
Belgiens, Pariser Seerechtsdeklaration usw.). Neuerdings haben die
Vereinigten Staaten Amerikas die Stellung, die die europäischen
Großmächte den europäischen Angelegenheiten gegenüber eingenonn-
men haben, für sich in Anspruch genommen, wenn es sich um
die Angelegenheiten Süd- und Mittelamerikas handelte "(darüber
unten S. 64).
If. Aus dem Grundgedanken des Völkerrechts folgt die Pflicht
aller Staaten, sich jedes Eingriffs in den völkerrechtlich abgegrenzten
Machtbereich eines jeden der übrigen Mitglieder der Völkerrechts-
gemeinschaft zu enthalten.
1. Völkerrechtswidrig ist daher jeder Angriff auf Bestand und
Sicherheit eines anderen Staates. Jeder Staat hat aber auch dafür
Sorge zu tragen, daß auf dem von ihm beherrschten 6ebiet kein
soleher Angriff von seinen Staatsangehörigen oder von Staatsfremden
vorbereitet oder unternommen werde.
Jeder Staat ist daher verpflichtet, allen auf seinem Gebiete
vorbereiteten oder unternommenen Angriffen auf andere Staaten
entgegenzutreten. Er ist zunächst verpflichtet, sie zu hindern; er
ist, wenn ihm die Verhinderung nicht gelungen ist, verpflichtet,
die Täter zu bestrafen. Gegen die Folgen der rechtswidrigen Unter-
lassung schützt ihn nicht der Einwand, daß seine Gesetzgebung
ihm die Handhabe zum Einschreiten nicht gewähre: es ist dann
eben seine Pflicht, für Abänderung seiner Gesetzgebung Sorge zu
tragen.* Die Frage wird von besonderer Wichtigkeit, wenn durch
die nationale Bewegung eines Staates die Einverleibung des einem
andern Staate gehörenden, von derselben Nationalität bewohnten
Gebietes verlangt wird. Der Staat, von dessen Gebiet diese Ge-
fährdung des fremden Staatswesens ausgeht, handelt völkerrechts-
widrig, nicht nur, wenn er die Bewegung offen oder heimlich
4) Vergl. dazu Triepel 303, sowie unten $ 24 III.