68 1I.Buch. Die Rechtssubjekte und ihre allgem. Rechtsstellung.
III1. Aus der mit dem Grundgedanken des Völkerrechts gegebenen
gegenseitigen Unabhängigkeit der Staaten voneinander folgt, daß kein
Staat vor die Gerichte eines andern Staates gestellt werden kann.
Dieser Satz, der heute noch von der weitaus überwiegenden
Literatur und Rechtsprechung anerkannt wird, ist in neuerer Zeit
vielfach angefochten worden. Man stellt die Behauptung auf, daß
der Staat, soweit er nicht als solcher, sondern als Privatunter-
nehmer (als Fabrikant, als Betreiber einer Eisenbahn usw.) auftritt,
soweit also nicht die Ausübung seiner Staatsgewalt in Frage
steht, daß also der fremde Staat als Fiskus den inländischen
Gerichten auch gegen seinen Willen unterworfen sei.8 (Gegen diese
Ansicht spricht aber entscheidend die Erwägung, daß jeder Ver-
such, das gegen den Fiskus gefällte Erkenntnis zu vollstrecken,
zu einem Eingriff in die fremde Staatsgewalt führen würde. Nur
soweit es sich um dingliche Klagen in bezug auf unbewegliches
Gut handelt oder der fremde Staat sich freiwillig der inländischen
Gerichtsbarkeit unterwirft, erfährt der ausgesprochene Grundsatz
eine Durchbrechung.
Privatrechtliche Streitigkeiten zwischen selbständigen Staaten
können daher regelmäßig nur auf dem Wege einer gütlichen Ver-
einbarung oder durch Schiedsgerichtsspruch friedlich erledigt werden.?
2. Auch die exterritoriale Stellung des in fremdem Staatsgebiet
weilenden Staatsoberhauptes sowie des Gesandten ergibt sich als
Folgerung aus der Unabhängigkeit jedes einzelnen Gliedes der Völker-
rechtsgemeinschaft (unten $$ 12ff.).
8) Vergl. die Verhandlungen des Institus für Völkerrecht von 1891.
Audinet, R.G. 11385. Hartmann, R.J. XXII 425. Hellwig, Lehr-
buch des deutschen Zivilprozeßrechts. I. Band (1903), S. 119. Die richtige
Ansicht wird jedoch nicht nur von der Rechtsprechung der meisten außer-
deutschen Länder, sondern ganz besonders auch von den deutschen obersten
Gerichtshöfen ständig vertreten. Vergl. Droop in Gruchots Beiträgen
XXVI289. Perels 93. Gareis 97. E. Loening, Die Gerichtsbarkeit über
fremde Staaten und Souveräne. 1903. Auch der deutsche Reichskanzler
steht auf diesem Standpunkt; vergl. den interessanten Fall in B. Z. XIII 397.
9) Vergl. Streit, L’affaire Zappa. 1894. Föraud-Giraud, Etats
et souverains, personnel diplomatique et consulaire devant les tribunaux
ötrangers. 2 Bde. 1895.