$8. Die Staatsgewalt in ihrer inneren Selbständigkeit. 69
IV. Aus dem Grundgedanken des Völkerrechts, durch das die
Gemeinsehaft der Staaten konstitulert wird, ergibt sieh endlich auch
Recht und Pflicht eines jeden Staates zu ständigem Verkehr mit allen
übrigen Mitgliedern der Völkergemeinschaft (zum ‚,Commereium‘‘, zur
„Sociabilität‘‘).
In dem Begriff des Verkehrs liegt zunächst die Unterhaltung
ständiger diplomatischer Beziehungen mit den übrigen Staaten,
deren Gebrauch so alt ist wie das Völkerrecht überhaupt, und
deren Anbahnung den ersten Schritt zu bilden pflegt, der einen
bisher außerhalb der Völkergemeinschaft stehenden Staat in diese
Gemeinschaft einführt. Es liegt darin ferner die Unterhaltung
rechtlicher Beziehungen, die in dem Abschluß von Staats-
verträgen ihren Ausdruck findet. Es liegt darin endlich die Er-
schließung des Landes für die Angehörigen der übrigen Staaten
und deren grundsätzliche Gleichstellung mit den eigenen Staats-
angehörigen.
Ein Staat, der durch eine chinesische Mauer gegen alle
andern Staaten sich abschließen wollte, träte damit ohne weiteres
aus der Völkergemeinschaft aus. Ein Staat, der einem andern
Staate allein das allen andern gewährte Commercium versagt, be-
gründet damit für diesen einen casus belli. Durch diese grund-
sätzliche Verpflichtung zur Unterhaltung des Verkehrs wird aber
die Berechtigung nicht berührt, im einzelnen Falle den Abschluß
eines Vertrages, den Empfang einer Gesandtschaft, die Zulassung
eines Staatsangehörigen zu verweigern. 10
$ 8. Die Staatsgewalt in ihrer inneren Selbständigkeit.
IL Aus dem Grundgedanken des Völkerrechts ergibt sich die gegen-
seitige Anerkennung der Selbständigkeit jedes Staates innerhalb seines
10) Entgegen einer weit verbreiteten Auffassung (auch Gareis 93)
habe ich unter den „Grundrechten“ ein besonderes „Recht der Selbsterhal-
tung“ (droit de conservation) nicht mit angeführt, da dieses doch nur im
Falle eines Notstandes den Eingriff in fremdes Recht gewährt, daher besser
an anderer Stelle (unten $24 IV) behandelt wird.