90 1. Buch. Die Rechtssubjekte des völkerrechtlichen Staatenverbands.
sich ferner im türkisch-bulgarischen Friedensvertrag vom 29. September
1913 Art.7 sowie ım türkisch-griechischen vom 14.November 1913
Art.4.
III. Okkupation Ist die Begründung der Gebietshoheit (mithin der Erwerb
der Staatshoheit, des Imperium) auf bisher staatslosem Gebiet.
1. Die Okkupation erfordert objektiv: tatsächliche Herrschaft über das
Gebiet (Prinzip der Effektivität), und sie reicht nur so welt wie diese; sub-
jektiv: den Willen dauernder Beherrschung.
Die Okkupation ist mithin verschieden von der Abgrenzung der
Interessensphären, die lediglich die Begründung eines erst auszuübenden
ausschließlichen Okkupationsrechtes bedeutet (oben 8913). Sie ist
verschieden von der kriegerischen Besetzung (unten $& 40 VI), bei der
die Absicht dauernder Beherrschung fehlt. Sie.ist verschieden ferner
von der Begründung eines völkerrechtlichen Protektorats über ein
weiterbestehendes Staatswesen (oben $ 6 III); sie fällt aber zusam-
men mit der Erwerbung einer staatsrechtlichen Schutzherrschaft über
sogenannte Schutzgebiete, die in Wahrheit dem Staatsgebiete einge-
gliederte Kolonien sind (oben $ 9 12).
Die Okkupation ist, wie die Eroberung, ursprüngliche Erwerbsart.
Sie setzt aber, abweichend von der Eroberung, voraus, daß die er-
worbenen Gebiete einer Staatsgewalt bisher nicht unterworfen waren.
Dabei ist der Begriff des Staates in dem oben $ 5 II entwickelten Sinne
festzuhalten. Nomadisierende Negerstämme sind, auch wenn sie etwa
unter der erblichen Herrschaft ihrer Häuptlinge stehen, nicht Staaten
im Sinne des Völkerrechtes; die mit ihnen geschlossenen Verträge
können daher abgeleitete Gebietserwerbungen nicht begründen, son-
dern lediglich als Beweis oder Indiz dafür verwendet werden, daß ein
Staat früher als ein anderer sich in dem in diesen Verträgen bezeich-
neten Gebiete festgesetzt, dieses also durch Okkupation für sich er-
worben hat. Gebiete, die unter der Herrschaft eines außerhalb der
Völkerrechtsgemeinschaft stehenden Staates stehen, sind dagegen der
Okkupation entzogen; der auf Vereinbarung mit solchen Staaten ge-
stützte Erwerb ist abgeleiteter, nicht ursprünglicher Erwerb.
Es mag unter Umständen schwierig sein, im Einzelfalle fest-
zustellen, ob die durch. das Prinzip der Effektivität geforderte tat-
sächliche Herrschaft wirklich vorhanden ist. Und gerade, wenn es
sich um die Erschließung bisher unzivilisierter Gebiete handelt, wer-
den die Anforderungen nicht zu hoch gespannt werden dürfen. Es
genügt, wenn die vorhandene Herrschaft ausreicht, um im allgemeinen
das Gebiet gegen äußere Angriffe zu verteidigen und Ruhe und Ord-
nung im Innern zu sichern 1!).
11) Über die Polargebiete (nur in den antarktischen Gebieten gibt es Lund,
das okkupiert werden könnte) vgl. Waultrin, R.G. XV 78, 185. 401, XVI 649