Full text: Das Völkerrecht systematisch dargestellt.

8 10. Erwerb und Verlust von Staatsgebiet. 91 
Die bloße Entdeckung eines bisher unbekannten Gebietes oder 
dia symbolische Besitzergreifung (durch Hissen der Flagge usw.) ge- 
nügt mithin nicht, um die Gebietshoheit zu begründen. Die Beherr- 
schung eines Küstenstriches bewirkt nicht Herrschaft über das ganze 
Hinterland, Beherrschung der Strommündung nicht Herrschaft über 
das gesamte Stromgebiet. Andererseits erfordert der Begriff der Okku- 
pation nicht die wirtschaftliche Erschließung des Landes (agrarische 
Kolonisation). 
Die Kongoakte vom 26.Februar 1885 hat das Prinzip der Effek- 
tivität in Art.35 (s. Anhang) ausdrücklich anerkannt. 
2. Durch die Kongoakte ist ferner als Bedingung Tür rechtswirksame 
Erwerbungen die Mitteilung an die übrigen Mächte (Notifikation) aufgestellt 
worden (Prinzip der „Publizität‘‘). 
Durch dieses „Prinzip der Publizität", das auf. die eigentliche 
Okkupation wie auf die Erwerbung eines völkerrechtlichen Protek- 
torates Anwendung findet, soll den Mächten, die durch die neue Er- 
werbung sich in ihren Rechten verletzt fühlen, die Möglichkeit ge- 
sichert werden, durch Einspruch gegen die Erwerbung ihre Rechte 
zu wahren; das Stillschweigen würde auch hier (unten $ 21 IV) als 
Verzicht aufgefaßt werden müssen. 
Auch dieser Rechtssatz wurde durch Art.34 der Kongoakte (s. An- 
hang) zunächst nur für Neuerwerbungen an den Küsten von Afrika 
unter den Signatarmächten der Kongoakte vereinbart; er ist aber, 
wie schon früher (Deutschland 1884 bezüglich Westafrikas), so seit- 
her auch auf andere Erwerbungen angewendet worden. So hat Deutsch- 
land 1886 die Okkupation der Marschall-Inseln, Frankreich die von 
Madagaskar sowohl 1886 als auch 1896 (oben 8 6 Note 12) den übri- 
gen Mächten mitgeteilt 2). ’ 
IV. Eine verschlelerte Form des derivativen Erwerbs ist die Übernahme 
eines Gebietes „zur Besetzung und Verwaltung‘‘ unter nomineller Fortdauer 
der bisherigen Staatsgewalt (auch, aber sehr unglücklich, als ‚„‚Condominium 
in&gal‘‘ bezeichnet). Entscheidend für die Souveränität der erwerbenden Staats- 
(widerspruchsvoll); Balch, R.J. XLII34. Die Organisation von Spitzbergen 
das wie die Bäreninsel als res nullius bezeichnet wird, soll durch die entworfene 
Konvention (eine Staatenkonferenz sollte Juli 1914 zusammentreten) auf inter- 
nationaler Girundlage durchgeführt werden. Durch den Ausschluß jeder Okku- 
pation würde das Gebiet in Wahrheit zur res communis omnium, die unter der 
ungeteilten Staatsgewalt des Staatenverbandes steht. Literatur: Raestad, Le 
Spitsberg dans l’histoire diplomatique. 1912. Piccioni, R.G. XVI117. Ha- 
gerüäp, Jahrbuch 11231. Pohl bei Couwentz, Über den Schutz der Natur 
Spitzbergens. 1914 8.86. Der Entwurf ist abgedruckt: Jahrbuch II 142. 
12) Vgl. Rivier, Principes 1192. Pic, R.G. III 635.
	        
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