92 I. Buch. Die Rechtssubjekte des völkerreohtlichen Staatenverbands.
gewalt ist die uneingeschränkte und im eigenen Namen erfolgende Ausübung
der Hoheitsrechte.!?)
Hierher gehört:
1. Die Besetzung von Bosnien und der Herzegowina durch Österreich-
Ungarn im Jahre 1879.
Sie beruhte auf Art.25 des Berliner Vertrages von 1878 (s. An-
hang), und auf dem Vertrag zwischen Österreich und der Türkei vom
21. April 1879 (Strupp I 223). Die Souveränität der Türkei war in
diesen Vereinbarungen ausdrücklich vorbehalten; aber Österreich-Un-
garn übte die uneingeschränkte Gebietshoheit aus, und die Mächte
haben dies durch den Verzicht auf die Kapitulationen anerkannt;
ebenso zweifellos standen die Einwohner der beiden Gebiete unter der
Personalhoheit Österreich-Ungarns, das sie nach außen hin, wie seine
eigenen Staatsangehörigen, vertrat. Die „Annexion“ im Dezember 1908
hatte mithin nur deklaratorische, nicht konstitutive Bedeutung !t).
2. Die Besetzung von Cypern durch England.
In dem englisch-türkischen Bündnisvertrag vom 4. Juni 1878?)
trat die Türkei Cypern an Großbritannien zur Besetzung und Ver-
waltung mit der im Zusatzvertrag vom 1.Juli 1878 ausgesprochenen
Bedingung ab, daß die Abtretung aufhören solle, sobald Rußland die
im letzten Kriege gemachte Erwerbung von Kars und der übrigen
armenischen Gebiete rückgängig machen würde. Im November 1914
hat England die Insel für annektiert erklärt.
8. Die Stellung der Vereinigten Staaten im Gebiete des Panamakanals.
Durch Art.3 des Vertrags mit Panama vom 18. November 1903
(Fleischmann 322) haben die Vereinigten Staaten die uneingeschränkte
und dauernde Souveränität über das Kanalgebiet (unten $ 27 IV 2) er-
worben; die Übertragung der Hoheitsrechte zur Ausübung im eigenen
13) Cavaglieri, Il diritto internaz. e alcune recenti ooncessioni di territori.
1903. Gerard, Les cessions deguisees de territoires. 1903. Perrinjaquet,
Des cessions temporaires de territoires. 1904. Derselbe, R. G. XVI 316. v.Mar-
titz 441 nimmt in diesen Fällen eine bloße Belastung des abtretenden Staates,
unter fortdauernder Gebietshoheit, an. Ähnlich Cavaglieri, Archivio giuridico
LXXIII (S. 52 des Sonderabdrucks). Nys, R.J. XXXVIIl75. Ullmann 297.
Richtig Oppenheim 1233, 288. Merignhac II 488.
14) Literatur oben $3 Note 39. — Übereinstimmend mit der im Text vor-
getragenen Ansicht Gerard, v. Holtzendorff, Lingg, M£rignhac, Rivier;
abweichend Jellinek und PE&ritch.
15) N.R.G. 2. s. III272. Fleischmann 145. Strupp 1201. Dieser ist
jetzt der Ansicht, daß es sich nur um „Verwaltung mit der Tendenz späteren
Erwerbes‘‘ gehandelt habe (K. 2. IX 481 und Orient 128; hier ist die Annexions-
order abgedruckt).