120 XI. Buch. Der völkerrechtliche Verkehr innerhalb des Staatenverbandes.
liches Recht mit sich in die Fremde. Er behält seinen Wohnsitz in der
Hauptstadt des Heimatlandes und hat in diesem seinen Gerichtsstand.
Die herrschende Ansicht von der Exterritorialität muß mithin, auch
gegenüber den bis in die neueste Zeit gegen sie (so von Lawrence,
Esperson, Fiore, Zorn, Beling, v. Martitz u. a.) gerichteten
Angriffen, aufrechterhalten werden.
Aus dieser Auffassung ergibt sich auch, daß der Gesandte weder
für sich, noch auch für die übrigen Personen, welche die Befreiung
genießen, auf diese völlig Verzicht leisten kann. Auf die Möglich-
keit eines (mit Genehmigung seiner Regierung erfolgenden) teil-
weisen Verzichts wird bei der Besprechung des Inhalts der Exterri-
torialität einzugehen sein.
VI. Die Exterritorialität umfaßt im einzelnen:
1. Die persönliche Unantastbarkelt.
Dio „Unverletzlichkeit‘ des Gesandten verpflichtet den Empfangs-
staat, ihm einen erhöhten Schutz zu gewähren und Beleidigungen,
die dem Gesandten zugefügt werden, unter besonders strenge Strafe
zu stellen; sie hindert den Empfangsstaat aber auch, von den Fällen
der Notwehr und des Notstandes abgesehen, Hand an den Gesandten
zu legen, falls dieser die Rechtsordnung verletzen sollte: sie gewährt
mithin dem Gesandten Schutz nicht nur, wie jedem Privatmann, gegen
rechtswidrigen, sondern auch, wie keinem Privatmann, gegen recht-
mäßigen Angriff. Doch kann der Empfangsstaat das Verhalten des
Gesandten (etwa Begehung strafbarer Handlungen oder Teilnahme daran)
zum Anlaß nehmen, seine Abberufung zu verlangen oder ohne weiteres
die Beziehungen zu ihm abzubrechen und ihm die Pässe zuzustellen.
2. Die Exemption von der Gerichtsbarkeit des Emplangsstaates.
Mit ihr ist auch die Befreiung von der Herrschaft des materiellen
Privat- und Strafrechts notwendig gegeben, selbst wenn man die oben
unter V vertretene Auffassung der Exterritorialität bestreiten wollte.
Denn Befehlsgewalt ohne Zwangsgewalt wäre leerer Schall®). Nur bei
3) Bestritten. Im Sinne des Textes die überwiegende völker-
rechtliche Ansicht. Vgl. G. F. Müller, Die Stellung des Reichsgerichts zu
der völkerrechtlichen Lehre von der Exterritorialität. Greifswalder Diss. 1905.
Strupp, Zwei praktische Fälle aus dem Völkerrecht (Beilageheft zu K. Z. V) 1911
(über die Anwendbarkeit des Verwaltungsrechts). — Beling sowie die meisten
Kriminalisten (Literatur bei v. Liszt, Strafrecht $24 Note 4) nehmen nur Befrei-
ung von der Gerichtsbarkeit an. Dagegen spricht die Unmöglichkeit, den Ge-
sandten nach Niederlegung seines Amtes wegen einer vorher begangenen Hand-
lung nach den Gesetzen und vor den Gerichten des Empfangsstaates zu ver-
folgen. Denn eine solche Verfolgung würde voraussetzen, daß der Gesandte
während seiner Amtsführung gleichzeitig den Normen des Absendestaates und
denjenigen des Empfangsstaates unterworfen ist. _ Oder soll in dem angedeu-
teten Falle etwa der Richter des Empfangsstaates das Recht des Absendestaates