$ 22. Die völkerrechtlichen Verträge. 159
Dabei sind die der allgemeinen Rechtslehre angehörenden Be-
griffe der aufschiebenden wie der auflösenden Bedingung, sowie der
von der Bedingung zu unterscheidenden Auflage, sinngemäß zur An-
wendung zu bringen (oben 851IV). Nichteintritt der aufschiebenden
oder Eintritt der auflösenden Bedingung hat die Unwirksamkeit der
abgegebenen. Willenserklärung zur Folge; doch tritt diese Wirkung nicht
ipso jure, sondern nur dann ein, wenn der Staat, der die Willens-
erklärung abgegeben hat, sich. auf jene Unwirksamkeit beruft: denn
auch hier gilt das. Stillschweigen als Zustimmung.
6. Die Willenserklärung kann angelochten werden wegen wesentliehen
Irrttums des Erklärenden oder wegen eines auf die Person des Erklärenden aus-
geübten Zwanges.®)
Keine Ausnahme bilden die Kriegsverträge mit Einschluß des
Friedensvertrages. Auch diese können nur angefochten werden, wenn
gegen den vertragschließenden Vertreter des Staates Zwang geübt
worden ist, nicht aber, weil der unterlegene Staat selbst sich in einer
Zwangslage befunden hat. Nicht die Kriegsgefangenschaft des Mon-
archen an sich, wohl aber der zu ihr hinzutretende völkerrechtswidrige
Zwang bildet einen Anfechtungsgrund. Der Friedensvertrag, den das
in Kriegsgefangenschaft befindliche Staatshaupt abgeschlossen hat, bin-
det den von ihm vertretenen Staat, soweit nicht etwa die Kriegsgefangen-
schaft selbst nach dem Staatsrecht seines Staates ihm die Vertretungs-
befugnis entzogen hat.
$& 22. Die völkerrechtliehen Verträge.’)
1. Völkerrechtlicher Vertrag ist die zwischen zwei oder mehreren Staaten über
staatliche Hoheltsrechte zustande gekommene Willenseinigung.?)
Von den Verträgen im technischen Sinne ist zu unterscheiden
die in jüngster Zeit sehr häufig gewordene, durch Austausch von Noten
erfolgende Feststellung der Übereinstimmung der leitenden Staats-
6) Vgl. Neubecker, Zwang und Notstand in rechtsvergleichender Dar-
stellung. 1910 8. 134.
1) Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatenverträge. 1880. Seligmann,
Abschluß und Wirksamkeit der Staatsverträge. 1890. Nippold, Der völkerrecht-
liche Vertrag usw. Leoni, L. A.I498. Heilborn, L. A. XII141l. Naoum, Der
Abschluß von völkerrechtlichen Verträgen. Leipziger Diss. 1905 (behandelt haupt-
sächlich das griechische Staatsrecht), Huber, Gemeinschafts- und Sonderrecht
unter den Staaten. (Festgabe für Gierke) 1911. Pic, R. G. XVII 5 (Interpretation
der Verträge). Grosch, Der Zwang im Völkerrecht mit besonderer Berücksichti-
gung des völkerrechtlichen Vertragsrechtes. 1912. Derselbe, Jahrbuch des Öffent-
lichen Rechts V 267. Fleischmann bei v. Stengel . Fleischmann III 504.
M6rignhac I1l633. Nys II497. Ullmann 497.
2) Der völkerrechtliche Vertrag kommt hier nur als Rechtsgeschäft, nicht
als Rechtssatzung in Betracht; vgl. darüber oben $2 Note2.