Full text: Das Völkerrecht systematisch dargestellt.

” 8 24. Rechtsnachfolge in völkerrechtliche Rechteverhältnisse.-r 173 
träge für die nunmehr selbständig gewordenen Staatsteile bestehen; 
vorausgesetzt, daß die Verbindung der neuen Staatsteile nicht völlig 
gelöst ist. So sind die von der österreichischen Monarchie vor 1867 
geschlossenen Verträge seit der Einführung des Dualismus nicht etwa 
aufgehoben worden, sondern bestehen für beide Reichshälften weiter. 
Freilich wird, da dia Rechtslage durch eine solche Spaltung sich wesent- 
lich geändert hat, sowohl den neugebildeten als auch dritten Staaten 
das Recht eingeräumt werden müssen, die geschlossenen Verträge zu 
kündigen (oben 8 22 V 1). Sind aber die früheren Staatsteile nunmehr 
weder durch Real- noch durch Personal-Union miteinander verbunden 
(Schweden und Norwegen seit 1905), so müssen mangels besonderer 
Vereinbarung, die von dem früheren Einheitsstaat geschlossenen Ver- 
träge als erloschen betrachtet werden?®). 
Wenn, wie bei der Gründung des Deutschen Reiches, mehrere 
Staaten sich durch freie Vereinbarung zu einem Staatenbund oder 
Bundesstaat zusammenschließen, so dauern die von jedem von ihnen 
geschlossenen Verträge weiter, da die Rechtssubjektivität des Glied- 
staates selbst im Bundesstaat nicht völlig verloren geht. Doch muß 
auch hier ein Kündigungsrecht auf beiden Seiten angenommen werden. 
Bei einem Zusammenschluß zum Einheitsstaat dagegen müßte 
wegen des völligen Unterganges der bisherigen völkerrechtlichen Rechts- 
‚subjekte auch das Erlöschen der sämtlichen von den ehemals selb- 
ständigen Staaten geschlossenen Verträge behauptet werden. 
Bei Anwendung dieser Regeln ist aber zu beachten, daß der 
geschichtlichen Entwicklung gegenüber die scharfe Unterscheidung sich 
nicht streng durchführen läßt. Bei der Entstehung des einheitlichen 
Königreichs Italien ist Sardinien der führende Staat gewesen, der 
die übrigen italienischen Staaten in sich aufgenommen hat. Daraus 
ergibt sich, daß die von Sardinien früher geschlossenen Verträge, mit 
Erweiterung auf das gesamte Königreich, fortbestehen, die von den 
‘ übrigen italienischen Staaten geschlossenen Verträge dagegen unter- 
gegangen sind. 
8. Durch die Begründung einer völkerrechtlichen Schutzherrschaft er- 
löschen alle Verträge. des nunmehr geschützten Staates, welche die uneinge- 
schränkte Souveränität des Vertragschließenden voraussetzen. 
Hierher gehören vor allem Bündnisverträge, ferner alle politischen 
Verträge überhaupt. Die übrigen Verträge des geschützten Staates blei- 
ben bestehen; doch führt die Verschiebung der Rechtslage zu einem 
Kündigungsrecht sowohl des oberherrlichen Staates, als auch aller 
2) Es kann vereinbart werden, daß die Verträge bis auf weiteresin Kraft 
bleiben. Vgl. Briefwechsel Großbritanniens mit Schweden und Norwegen inN.R. G. 
3. e. V 866.
	        
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