174 IJI. Buch. Der völkerrechtliche Verkehr innerhalb des Staatenverbandes.
anderen Staaten, die mit dem jetzt nur halbsouveränen Staate Verträge
geschlossen haben. Die von dem Schutzstaate geschlossenen Verträge
werden jedenfalls nicht auf das Gebiet des geschützten Staates aus-
gedehnt, da dieser seine völkerrechtliche Rechtssubjektivität nicht voll-
ständig einbüßt.
III. Gebietsveränderungen, bei denen der Bestand der beiden Staaten erhalten
bleibt, haben grundsätzlich keinen Einfluß auf die bestehenden völkerrecht-
lichen Berechtigungen und Verpflichtungen. Die von dem erwerbenden Staate
geschlossenen Verträge erstrecken sich ohno weiteres auch auf die neu er-
worbenen Gebiete; und die von dem verkleinerten Staate geschlossenen Ver-
träge bleiben trotz des Gebietsverlustes weiter bestehen.
Das ist das sogenannte „Prinzip der beweglichen Ver-
tragsgrenzen“, das auch in den Handelsverträgen des Deutschen
Reichs zur ausdrücklichen Anerkennung gelangt ist. So sagt Art.12
des deutsch-belgischen Handels- und Zollvertrages vom 6. Dezember
1891 (Fassung vom 22. Juni 1904; siehe unten $ 28 I): „Der gegenwärtige
Vertrag erstreckt sich auch auf die mit einem der vertragschließenden
Teile gegenwärtig oder künftig zollgeeinten Länder oder Gebiete.“
Dieser Grundsatz ergibt sich schon aus der Unteilbarkeit der Staats-
gewalt. Wenn der StaatA etwa drei Viertel seines Gebietes an den
Staat B abtritt, so rückt damit nicht etwa der Staat B in einen vom
Staate A mit dem Staate C abgeschlossenen Bündnisvertrag ein, soweit,
es sich um das abgetretene Gebiet handelt.
Nach diesem Prinzip war mithin mit der Angliederung von ElsaB-
Lothringen an das Deutsche Reich der französisch-schweizerische Ver-
trag über das internationale Privatrecht vom 15. Juni 1869 für jene
Gebiete außer Kraft getreten. Das aufgestellte Prinzip gilt im allge-
meinen auch von den Garantieverträgen. Hat ein Staat oder haben
mehrere Staaten einem andern Staat die Integrität seines Gebietes
garantiert, so erstreckt sich die Garantie auch auf die von diesem
Staate neu erworbenen Gebiete. Will der garantierende Staat diesen
seine Verpflichtung erweiternden Erfolg nicht eintreten lassen, so muß
er gegen die Neuerwerbung Einspruch erheben. Umgekehrt bleibt die
Garantie auch für das verkleinerte Gebiet bestehen, während der
Staat, der ein Stück des garantierten Staates erwirbt, in die Rechts-
verhältnisse des garantierten Staates nur dann eintritt, wenn diese
auf dem erworbenen Gebiete lokalisiert sind. Eine Ausnahme muß
jedoch gemacht werden, wenn die Garantie einen Territorialstaat ohne
jeglichen Kolonialbesitz betrifft, dieser Staat aber später Kolonien
erwirbt; die Garantie kann dann nicht für diesen neuen Besitz in An-
spruch genommen werden. Die Frage ist aktuell geworden, seitdem
Belgien den bisherigen Kongostaat sich einverleibt hat (oben 86 IV
Note 20). Die Durchführung der Trennung zwischen Mutterland und