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Jeder Staat, soweit er durch Verträge nicht beschränkt ist, hat
das Recht, diejenige Handelspolitik zu treiben, die er für die richtige
hält; er kann dem reinsten Freihandelsprinzip huldigen oder in seinem
autonomen Tarif weitgehende Schutzzölle einführen; er kann durch
Verträge sich binden, die entweder einen bis in die kleinsten Einzel-
heiten gehenden Tarif, oder aber die bloße Meistbegünstigungsklausel
enthalten; er kann alle andern Staaten auf dem Fuß der Gleichberech-
tigung behandeln, oder, wenn er Retorsionen nicht scheut, mit Dif-
ferenzialzöllen arbeiten. Dagegen ist der vollständige Ausschluß eines
Staates vom Handelsverkehr, wie ihn die Pariser Wirtschaftskonferenz
der Verbandsstaaten vom 14. bis 17. Juni 1916 in Aussicht genommen
hat (der Wirtschaftskrieg im Frieden), mit dem Grundgedanken des
Völkerrechts (oben $ 7 IV) unvereinbar.
Seit dem Beginn der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts
besteht zwischen den mitteleuropäischen Staaten ein Vertragssystem,
das, an die’ Stelle der bloßen Meistbegünstigungsverträge getreten, auf
der Unterscheidung zwischen einem gesetzlich festgelegten General-
tarif (als Maximaltarif oder als Maximal- und Minimaltarif) und dem
vereinbarten Konventionaltarif beruht. Das Deutsche Reich hatte in
den v. Caprivischen Handelsverträgen von 1891 bis 1894 (geschlossen
mit Belgien, Italien, Österreich-Ungarn, mit der Schweiz, mit Serbien,
Rumänien und Rußland) eine gemäßigt schutzzöllnerische Richtung
eingeschlagen und sich zugleich bemüht, Mitteleuropa zu einer han-
delspolitischen Einheit zusammenzufassen. Das Zolltarifgesetz vom
25. Dezember 1902 (R.G.Bl. S.303) lenkte in hochschutzzöllnerische
Bahnen (besonders bezüglich der landwirtschaftlichen Produkte) ein.
Auf dieser Grundlage sind Zusatzverträge zu den bestehenden Ver-
trägen abgeschlossen worden mit Belgien am 22.Juni 1904 (R.G.Bl.
1905 S.599), Rußland am 28./15. Juli 1904 (R.G.Bl.1905 S.35), Ru-
mänien am 8. Oktober/25. September 1904 (R.G.B1.1905 S.253), mit
der Schweiz am 12. November 1904 (R.G.B1. 1905 S.319), Serbien am
29./16.November 1904 (R.G.Bl.1906 S.319), Italien am 3. Dezember
1904 (R.G.Bl.1905 S.413), Österreich-Ungarn am 25. Februar 1905
(R.G.B1.1906 S.143). Dazu kommen der Handels-, Zoll- und Schiff-
fahrtsvertrag mit Bulgarien vom 1.August 1905 (R.G.Bl.1906 S.1),
verlängert bis 31. Dezember 1917 (R.G.B1.1912 S.488); der Handels-
und Schiffahrtsvertrag mit Schweden vom 2.Mai 1911 (R.G.Bl. S..275),
der an Stelle des Vertrags vom 8.Mai 1906 getreten ist; der Vertrag
mit Japan vom 24. Juni 1911 (R.G.Bl. S.477), der den Vertrag vom
4.April 1896 ersetzt; der Vertrag mi‘ Bolivien vom 22. Juli 1908
(R.G.B1.1910 S.507), mit Portugal vom 30.November 1908 (R.G.Bl.
1910 S.679). Zu dem Handelsabkommen mit Ägypten vom 19.Juli
1892 ist 'ein Zusatzabkommen vom 17.März 1910 (R.G.Bl. S.901) ver-