8 389. Der Krieg als völkerrechtliches Rechtsverhältnis. 281
regelt. Die Kodifizierung findet ihren vorläufigen Abschluß in der „Erklärung
r das Seekriegsrecht‘‘, die auf der Londoner Konferenz von 1909. vereinbart
orden ist.
Die Erklärung von 1909 ist zwar nicht ratifiziert worden (oben
8 3 S.33); sie erklärt aber in der „einleitenden Bestimmung“ ausdrück-
lich, daß die in ihr enthaltenen Regeln „im wesentlichen den allgemein
anerkannten Grundsätzen des internationalen Rechts entsprechen“. Sie
kann daher, wenigstens teilweise (vgl. unten $4412), als Ratifizierung
des geltenden Gewohnheitsrechts betrachtet werden.
4. Verletzung der Bechtssätze des Kriegsrechts erzeugt die allgemeinen
Unrechtsfolgen. Vergeltungsmaßregeln sind auch im Kriege (vgl. oben $ 88
1V 1), da sie sich im Rahmen des Völkerrechts bewegen, rechtlich zulässige
Handlungen. Dagegen sind in Notwehr und Notstand sowie als Repressalien
(oben $ 88 IV2) auch Handlungen gestattet, die dem Kriegsrecht zuwider-
laufen, an sich also völkerrechtswidrig wären. Verschieden von Notwehr
und Notstand ist die Kriegsnotwendigkeit (Kriegsräson), die an sich niemals
die Verletzung des Kriegsrechts rechttfertigt.”).
Über die allgemeinen Grundsätze hinausgehend, macht Art.3.des
‚Abkommens über den Landkrieg, den die deutsche Delegation vorge-
schlagen hatte, die Mächte für jede Verletzung der Ordnung verant-
wortlich, die von den zu ihrer bewaffneten Macht gehörenden Personen
begangen werden (vgl. oben 8 25 II). Doch können die daraus ent-
springenden Entschädigungsansprüche nicht von dem Verletzten, son-
dern nur von dem ihn vertretenden Staat gegen den Kriegführenden
geltend gemacht werden.
Notstand und Kriegsnotwendigkeit sind verschie-
dene Begriffe. Der Notstand, in dem das Dasein und die Ent-
wicklungsfähigkeit (Selbsterhaltung und Selbstentfaltung) des bedrohten
Staates auf dem Spiele steht, rechtfertigt nach allgemeinen Grund-
sätzen, wie sie auch im innerstaatlichen Recht aller Kulturstaaten an-
erkannt sind, die Verletzung jeder völkerrechtlichen Norm, mithin auch
der Rechtssätze des Kriegsrechts. Dagegen hat dieses gerade den Zweck, der
Kriegsräson, d.h. der Anstrebung eines bestimmten taktischen oder
strategischen Zieles, durch das Verbot einzelner Kriegsmittel Schranken
zu ziehen. Kann das Ziel nur durch Anwendung eines solchen Mittels
erreicht werden, so vermag diese „Kriegsnotwendigkeit‘ die Anwen-
dung (etwa die Beschießung eines unverteidigten Platzes, den Angriff
auf die feindliche Flotte in neutralen Gewässern) nicht zu rechtfertigen.
Anders liegt die Sache, wenn die verbindende Kraft der übertretenen
Rechtsregel durch die sogenannte „Umstandsklausel‘“ (‚soweit die Um-
stände es gestatten‘) eingeschränkt ist; eine Einschränkung, die frei-
9) Vgl. oben $25 II; und dazu Zorn, Zeitschrift für Politik II 335; Weh-
berg, N. Z. XIX 497. Über Kriegsräson vgl. Huber, K.Z. VII 361.