Full text: Das Völkerrecht systematisch dargestellt.

282 IV. Buch. Die Erledigung der Staatenstreitigkeiten. 
lich gerade im Kriegsrecht sich häufig genug findet. Soweit kriegs- 
rechtliche Normen fehlen, hat die Kriegsräson freien Spielraum. Nu 
die Menschlichkeit verbietet ihr, mit unnötiger (d. h. für die Erreichung 
des Kriegszieles nicht nötiger) Grausamkeit vorzugehen. - 
Die Begriffe „Vergeltung“ und „Repressalie‘ sind im Kriege 
keine andern als im Frieden (vgl. oben $38IV 1,2). Doch ist gerade 
während des Weltkrieges durch einen schwankenden Sprachgebrauch 
die an sich unsichere Grenze vielfach verwischt worden. „Im Wege 
der Vergeltung“ hat das Deutsche Reich eine ganze Reihe von 
Maßnahmen angeordnet. Hierher gehören die Zahlungsverbote gegen 
England, Frankreich, Rußland, Rumänien und die Vereinigten 
Staaten, die Zwangsverwaltung und Zwangsliquidierung von ÜUnter- 
nehmungen feindlicher Staatsangehöriger, die Beschränkung der ge- 
werblichen Schutzrechte, die Auflösung von mit feindlichen Staatsange- 
hörigen geschlossenen Verträgen usw. Während diese Maßregeln wenig- 
stens zum Teil unter den Begriff der Vergeltung gebracht werden können, 
erscheinen die ebenfalls ‚im Wege der Vergeltung‘ vorgenommenen 
Änderungen der deutschen Prisenordnung (unten $43 II) in Wahrheit als 
Repressalien. Denn durch sie werden gegnerische Verletzungen des see- 
kriegsrechtlichen Gewohnheitsrechts durch gleichwertige, als Repressalien 
nicht rechtswidrige, Abweichungen von dem Seekriegsrecht erwidert. 
Typische Fälle von Repressalien im Kriege sind: Beschießung unvertei- 
digter Städte durch Luftfahrzeuge, Einsperrung gefangener feindlicher 
Offiziere, Erschießung friedlicher Staatsbürger des Gegners usw. als Er- 
widerung gleichartiger, von dem Kriegsgegner vorher vorgenommener Ver- 
letzungen des Völkerrechts. 
Eine Erweiterung der Zulässigkeit der Repressalien im Kriege 
muß wohl angenommen werden. Während die Friedensrepressalie nie- 
mals gegen Angehörige dritter Staaten sich richten darf (oben 838IV 2), 
ist das im Kriege als gestattet anzusehen, wenn die erwiderte Maß- 
regel auch neutrale Staatsangehörige geschädigt hat (wie eine Aus- 
debnung des Begriffs der absoluten Konterbande), ohne daß der neu- 
trale Staat diese Ausdehnung zu verhindert vermochte. Dagegen darf 
eine Verletzung des Völkerrechts, die einem von mehreren verbündeten 
Kriegführenden zur Last fällt, nicht mit Maßregeln erwidert werden, 
die sich gegen einen andern der Verbündeten richten. 
Von den Repressalien verschieden sind Anordnungen, die von 
dem Kriegführenden ergriffen werden, um insbesondere im besetzten 
feindlichen Gebiet, die militärischen Operationen zu sichern. Hierher 
gehört namentlich die Festnahme von angesehenen Bürgern, um die 
Gefahr völkerrechtswidriger Angriffe auf die Truppen und das Kriegs- 
material abzuwenden, Verständigung mit dem Feinde zu verhindern, 
die Zahlung von Kontributionen zu sichern usw. Diese „Kriegsgeiseln‘“
	        
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