366 IV. Buch. Die Erledigung der Staatenstreitigkeiten.
Den Beweis für die Richtigkeit dieser Doppelbehauptung liefera
dia Ausführungen in diesem Paragraphen (oben unter I) sowie meine
ganze Darstellung des Kriegsrechts (oben 8839 bis 43).
III. Die Zukunft des Völkerrechts hängt davon ab, ob es gelingen wird, in
die Neuorganisation des Staatenbundes das Moment des Zwanges einzuführen.
In dem Mangel des Zwanges haben wir bereits oben $ 1113 den
Grund für die Schwäche des Völkerrechts erblickt. Die Einführung des
Zwanges in das Völkerrecht ist aber ohne strafferen Zusammenschluß
der jetzt anarchischen Organisation des Staatenverbandes nicht
möglich (vgl. oben $17I).
1. Der Staatenbund der nächsten Zukunft wird ein organisierter Friedens-
verband der Staaten sein. Der Zwang wird in das Völkerrecht daher an der Stelle
eingeführt werden müssen, an der eg um die möglichste Sicherung des Frie-
dens sich handelt.
Jeder Verband ruht auf der Erkenntnis einer Interessengemeinschaft
und auf dem Willen der Verbandsglieder, sie gemeinsam zu wahren
und zu fördern. Auch der Staatenverband kann nicht willkürlich ge-
schaffen werden; er muß aus jener Erkenntnis erwachsen und von
diesem Willen getragen werden. Er ist seinem Wesen nach ein Frie-
densverband; der Krieg zwischen seinen Gliedern, und sei es der ge-
waltigste und blutigste, kann nur Episode sein, solange die Gemein-
samkeit der Interessen besteht und erkannt wie gewollt wird.
Die Erfahrung vergangener Jahrhunderte hat gelehrt, daß gerade
nach schweren und langwierigen Kriegen die Friedenssehnsucht und
der Friedenswille in den Völkern wieder erwacht und stärkere Lebens-
kraft entfaltet als je zuvor. Auf dieser geschichtlichen Tatsache ruht
die zuversichtliche Hoffnung, daß mit und nach dem Friedensschluß,
der dem Weltkrieg ein Ende bereitet, ein neuer Friedensbund der
Völker entstehen wird, stärker als der, den der Krieg zerschlagen hat.
Stärker kann der neue Staatenverband nur sein, wenn er anders
als bisher organisiert ist. Die Schwäche der bisherigen Organisation
lag in dem anarchischen Nebeneinander einiger vierzig Staaten un-
gleichster Beschaffenheit; in dem gleichen Stimmrecht eines jeden
von ihnen und in der Unmöglichkeit eines die Minderheit bindenden
Mehrheitsbeschlusses. Den ersten Schritt auf dem Wege zur Beseitigung
dieses Mangels erblicke ich in der völkerrechtlichen Anerkennung oder
Bildung von Staatengruppen (oben 8$17I)5). Die Gruppe der ame-:
rikanischen Staaten besteht bereits in den Ansätzen; ein kontinental-
europäischer Staatenbund ist zurzeit wohl ausgeschlossen, in Zukunft
6) Ähnliche Gedanken bei Stier-Somlo, Die Freiheit der Meere (1917)
S. 131. Vgl. zum Text meine Schrift: Vom Staatenverband zur Völkergemeinschaft.
1917.