Schlußprotokoll der Londoner Seekriegsrechts-Konferenz (1909). 519
Hafen nach Ablauf angemessener Zeit seit Bekanntgabe des Beginns der Feind-
seligkeiten an die diesen Hafen innehabende Macht verlassen hat.
Art.46. Ein neutrales Schiff wird eingezogen und unterliegt überhaupt
der Behandlung, die es als feindliches Kauffahrteischiff erfahren würde;
1. falls es sich unmittelbar an den Feindseligkeiten beteiligt;
2. falls es sich unter dam Befehl oder unter der Aufsicht eines von der feind-
lichen Regierung an Bord gesetzten Agenten befindet;
3. falls es von der feindlichen Regierung gechartert ist;
4. falls es derzeit ausschließlich zur Beförderung feindlicher Truppen oder
zur Nachrichtenbeförderung im Interesse des Feindes bestimmt ist.
In den in diesem Artikel bezeichneten Fällen unterliegen die dem Eigen-
tümer des Schiffes gehörenden Waren gleichfalls der Einziehung.
Art. 47. Jede in die feindliche Streitmacht eingereihte Person, die an Bord
eines neutralen Kauffahrteischiffs betroffen wird, kann zum Kriegsgefangenen
gemacht werden, auch wenn dieses Schiff der Beschlagnahme nicht unterliegt.
Viertes Kapitel. Zerstörung neutraler Prisen.
Art.48. Ein beschlagnahmtes neutrales Schiff darf von der nehmenden
Kriegsmacht nicht zerstört, sondern muß in einen Hafen gebracht werden, wo
gehörig über die Rechtmäßigkeit der Wegnahme entschieden werden kann.
Art.49. Ausnahmsweise darf ein von einem Schiffe des Kriegführenden
beschlagnahmtes neutrales Schiff, das der Einziehung unterliegen würde, zer-
stört werden, wenn die Befolgung des Artikel 48 das Kriegsschiff einer Gefahr
aussetzen oder den Erfolg der Operationen, worin es derzeit begriffen ist, beein-
trächtigen könnte,
Art.50. Vor der Zerstörung müssen die an Bord befindlichen Personen in
Sicherheit gebracht, auch sämtliche Schiffspapiere und sonstigen Beweisstücke,
die nach Ansicht der Beteiligten für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit
der Wegnahme von Wert sind, auf das Kriegsschiff herübergenommen werden.
Art.51. Die nehmende Kriegsmacht, die ein neutrales Schiff zerstört hat,
muß vor jeder Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Wegnahme den tat-
sächlichen Nachweis führen, daß sie nur ausnahmsweise angesichts einer Not-
wendigkeit der im Artikel 49 bezeichneten Art gehandelt hat. Führt sie diesen
Nachweis nicht, so ist sie gegenüber den Beteiligten zum Schadensersatze ver-
pflichtet, ohne daß es einer Untersuchung darüber bedarf, ob die Wegnahme
rechtmäßig war oder nicht.
Art.52. Wird die Wegnahme eines neutralen Schiffes, dessen Zerstörung
gerechtfertigt worden ist, später für nichtig erklärt, so muß die nehmende Kriegs-
macht den Beteiligten an Stelle der von ihnen zu’ beanspruchenden Rückgabe
Schadensersatz leisten.
Art.53. Sind neutrale Waren, die der Einziehung nicht unterlagen, mit
dem Schiffe zerstört worden, so hat der Eigentümer dieser Waren Anspruch auf
Schadensersatz.
Art. 54. Das nehmende Kriegsschiff kann die Übergabe einziehbarer Waren,
die an Bord eines der Einziehung selbst nicht unterliegenden Schiffes gefunden
werden, verlangen oder zu ihrer Zerstörung schreiten, wenn solche Umstände
vorliegen, die nach Artikel 49 die Zerstörung eines der Einziehung unterliegenden
Schiffes rechtfertigen würden. Es hat die überlieferten oder zerstörten Gegenstände
in dem Tagebuche des angehaltenen Schiffes zu vermerken und sich von dem
Kapitän beglaubigte Abschrift aller zweckdienlichen Papiere übergeben zu
lassen Sobald die Übergabe oder die Zerstörung erfolgt ist und die Förmlich-
keiten erledigt sind, muß dem Kapitän die Fortsetzung seiner Fahrt gestattet
werden.
Die Bestimmungen der Artikel 51, 52 über die Verantwortlichkeit der neh-
menden Kriegsmacht, die ein neutrales Schiff zerstört hat, finden Anwendung.
Fünftes Kapitel. Flaggenwechsel.
Art.55. Der vor Beginn der Feindseligkeiten herbeigeführte Übergang eines
feindlichen Schiffes zur neutralen Flagge ist gültig, falls nicht bewiesen wird,
daß dieser Übergang herbeigeführt worden ist, um den mit der Eigenschaft eines