$ 6. Die völkerrechtliche Handlungsfähigkeit. 51
Frieden zu schließen, Bündnisse und andere Verträge mit fremden
Staaten einzugehen, Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen.“
Doch haben die einzelnen Staaten das aktive und passive Gesandt-
schaftsrecht, und soweit die Zuständigkeit des Reiches nicht eingreift,
das Recht des Vertragsschlusses. — Bundesstaaten sind ferner: Mexiko
seit 1857, Argentinien seit 1860, Brasilien seit 1891, Venezuela seit
1830 (neue Verfassung von 1904).
4. Die Realunion kommt für das Völkerrecht grundsätzlich nur als
solehe In Betracht, so daß die verbundenen Staaten jeder für sich nicht als
völkerrechtliche Rechtssubjekte erscheinen.
Die Realunion wird gebildet durch die verfassungsmäßige, also
gewollte Gemeinsamkeit des monarchischen Staatshauptes. In die-
sem hat sie die Einheit ihrer völkerrechtlichen Persönlichkeit. In dieser
rein subjektiv hergestellten Einheit liegt aber zugleich, dem Bundes-
staat gegenüber, ihre Schwäche.
Durch die Verfassung wird der Umkreis der „gemeinsamen An-
gelegenheiten‘ festgelegt; zu diesen pflegt die äußere Politik an erster
Stelle gerechnet zu werden. Außerhalb dieses Kreises kann dem Ein-
zelstaat eine gewisse völkerrechtliche Handlungsfähigkeit eingeräumt
sein (Handelspolitik, konsularische Vertretung usw.). Ein Beispiel bietet
Österreich-Ungarn seit dem Ausgleich von 1867°).
II. Die Halbsouveränität und das völkerrechtliche Protektorat.®)
1. Der halbsouveräne Staat wird In bestimmten völkerrechtlichen Be-
siehungen durch einen andern Staat vertreten; dieser besitzt insoweit die
Oberherrlichkeit (Suzeränität). Der halbsouveräne Staat Ist daher nicht voll-
berechtigtes Glied der Völkerrechtsgemeinschaft. Nur soweit die Vertretungs-
gewalt des oberherrlichen Staates nicht reicht, Ist er handlungsfählg, kann
er sich also durch die von seinen Organen vorgenommenen Handlungen be-
rechtigen und verpflichten.
Es handelt sich hier um Übergangsstufen in der geschichtlichen
Entwicklung, sei es von der völligen Abhängigkeit zur uneingeschränk-
5) Von ungarischer Seite wird das Vorliegen einer Realunion bestritten. —
Ulbrich, Die rechtliche Natur der österr.-ungarischen Monarchie. 1879. Dant-
scher, Der monarchische Bundesstaat Österreich-Ungarn. 1880.
6) Heilborn, Das völkerrechtliche Protektorat. 1891. Despagnet, Essai
sur les Protectorats. 1896. Bornhak, Einseitige Abhängigkeitsverhältnisse unter
den modernen Staaten. 1896. Pillet, R.G. II583. Pic, R.G. IIIl613. La-
veleye, R.J. XV 254. Serkis, La Roumetlie orientale et la Bulgarie actuelle.
1898. Petit, Des effets du protectorat relativement & la souverainet6 int&rieure
de l’Etat prot£g6. 1900. Boghitchövitch, Halbsouveränität. 1903. Danne-
mann, Die politische und rechtliche Entwicklung der halbsouveränen Staaten
Europas. Würzburger Diss. 1915 (behandelt auch Kreta und Samos). de Louter,
1170. Mörignhac II180. Vgl. auch oben $3 Note 11. — Über den Krieg Ser-
biens gegen Bulgarien im Jahre 1885 vgl. Strupp II.
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