60 1. Buch. Die Rechtssubjekte des völkerrechtlichen Staatenverbands.
geteilt® Änderung ausdrücklich oder stillschweigend anerkannt haben.
Vgl. Aachener Protokoll vom 11.Oktober 1818 (Fleischmann S.24).
Mit Zustimmung der Mächte haben die Königin von England 1876 den
Titel einer Kaiserin von Indien, die Fürstentümer Rumänien 1881,
Serbien 1882, Bulgarien 1908, Montenegro 1910 den Titel Königreich
angenommen.
3. Durch die grundsätzliche Gleichberechtigung aller Mitglieder
der Völkergemeinschaft wird die tatsächliche Vorherrschaft
einzelner von ihnen nicht ausgeschlossen. Eine solche Vorherrschaft
haben die „Großmächte“ für sich wiederholt beansprucht und tatsäch-
lich durchgesetzt?2). Die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts kenn-
zeichnen sich (oben S.17) durch die Pentarchie der Großmächte Öster-
reich, Preußen, Rußland, Großbritannien, Frankreich. An Stelle Preußens
trat das Deutsche Reich; die Einigung der italienischen Landschaften
machte Italien zur sechsten Großmacht (seit 1867). Japan ist seit dem
Jahre 1894 in die Reihe der Großmächte eingetreten; und die seit
dem Bürgerkrieg (1865) zur Großmacht entwickelten Vereinigten Saaten
Amerikas verlangen trotz der Monroedoktrin scit dem spanischen
Krieg von 1898, bei der Entscheidung der Welthändel gehört zu wer-
den. Die europäischen Großmächte haben insbesondere die Regelung
der Verhältnisse in der europäischen Türkei von 1856 ab bis zur
Gegenwart mit wechselndem Erfolg für sich in Anspruch genommen
(das „europäische Konzert‘). In den chinesischen Wirren zu Anfang
dieses Jahrhunderts gingen sie gemeinsam mit Japan und Nordamerika
vor. Trotz dieser tatsächlichen Vorherrschaft muß jedoch daran fest-
gehalten werden, daß die Rechtssatzung durch die Großmächte nur
partikulares Völkerrecht zu schaffen vermag, und daß dieses zu all-
gemeinem Völkerrecht nur durch die ausdrückliche oder stillschwei-
gende Anerkennung von seiten der übrigen Staaten wird (Neutralisie-
rung Belgiens, Pariser Seerechtsdeklaration usw.).
U. Aus dem Grundgedanken des Völkerrechts folgt die Pflicht aller Staaten,
sich jedes Eingriffs in den völkerrechtlich abgegrenzten Machtbereich eines
jeden der übrigen Mitglieder der Völkerrechtsgemeinschaft zu enthalten.
1. Völkerrechtswidrig ist daher im Friedenszustand jeder Angriff auf
Bestand und Sicherheit eines anderen Staates. Jeder Staat hat aber auch
dafür Sorge zu tragen, daß auf dem von ihm beherrschten Gebiet kein solcher
Angriff von seinen Staatsangehörigen oder von Staatsfremden vorbereitet
oder unternommen werde.
Jeder Staat ist daher verpflichtet, allen auf seinem Gebiete von
seinen Staatsangehörigen oder von Staatsfremden vorbereiteten oder
2) Vgl. Streit, R.J. XXXI15. Huber, Die Gleichheit der Staaten (in
der Festschrift für Kohler). 1909.