$ 7. Die Staatsgewalt in ihrer äußeren Unabhängigkeit. 61
ausgeführten Angriffen auf andere Staaten entgegenzutreten. Er ist
zunächst verpflichtet, sie zu hindern; er ist, wenn ihm die Verhinde-
rung nicht gelungen ist, verpflichtet, die Täter zu bestrafen. Gegen die
Folgen der rechtswidrigen Unterlassung schützt ihn nicht der Einwand,
daB seine Gesetzgebung ihm die Handhabe zum Einschreiten nicht
gewähre: es ist dann eben seine Pflicht, für Abänderung seiner Ge-
setzgebung Sorge zu tragen. Die Frage wird von besonderer Wichtig-
keit, wenn durch die nationale Bewegung innerhalb eines Staates die
Einverleibung des einem andern Staate gehörenden, von derselben
Nationalität bewohnten Gebietes verlangt wird. Der Staat, von dessen
Gebiet diese Gefährdung des fremden Staatswesens durch den ‚‚Irre-
dentismus‘‘ ausgeht, handelt völkerrechtswidrig, nicht nur, wenn er
die Bewegung offen oder heimlich unterstützt, sondern auch dann, wenn
er sie nicht hindert oder nicht verfolgt°).
2. Völkerrechtswidrig ist die Intervention, d. h. die autoritative Ein-
mischung in die äußeren oder inneren Angelegenheiten eines andern Staates.
Sie erfordert das an den andern Staat gerichtete, durch Androhung oder An-
wendung von Woalfengewalt unterstützte Verlangen zu einem bestimmten
Tun oder Unterlassen.*®)
Sie ist daher verschieden von der Interzession, d. h. der
Erteilung freundschaftlicher Ratschläge, sowie von der unten $38I zu
besprechenden Mediation oder Vermittlung. Der Unterschied
liegt darin, daß sie Befolgung heischt und ihre, wenn nötig, gewaltsame
Durchsetzung in Aussicht stellt. Die Grenzlinie mag freilich im ein-
zelnen Falle schwierig zu ziehen sein. So wurde der von Rußland,
Frankreich und Deutschland gegen den Frieden von Simonoseki (1895),
insbesondere gegen die Abtretung der Halbinsel Liaotung (oben S. 25),
erhobene Einspruch als „freundschaftlicher Ratschlag‘ bezeichnet, ob-
wohl es klar war, daß seine Beachtung im Notfalle erzwungen werden
würde. Ebenso hat Japan im August 1914 seinem Ultimatum an Deutsch-
land die Form eines Rates gegeben.
Die Intervention widerspricht dem heutigen Völkerrecht. Aber die-
ser Satz hat sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts ausgebildet. Die
Pentarchie der Großmächte hat die Aufrechterhaltung des ‚„legitimen‘
Zustandes in den kleineren europäischen Staaten von 1815 an wieder-
holt auf Begehren der bedrohten Monarchen mit Waffengewalt durch-
3) Vgl. dazu Triepel (oben $2 Note 1) 303, sowie unten $25 III. — Bei-
spiele für Duldung und Förderung irredentistischer Umtriebe bieten Italien und
Serbien in den Jahren vor dem Weltkrieg.
4) Strauch, Zur- Interventionslehre. 1879. de Floeckher, De V'inter-
vention en droit international. 1896. Rougier, R. G. XVII 468 (über die ‚‚inter-
vention d’humanite‘‘; vgl. unten 8.63). Cavaglieri, L’intervento nella sua
definizione giuridica. 1913. Heilborn 353. Nys II223. Oppenheim I188.
Rivier 243.