$ 9. Der Umfang des Staategebietes. 83
vor dieser Linie, gegen das offene Meer zu, beginnen die Küsten-
gewässer.
Nur teilweise abweichend bestimmt der oben (S.79) erwähnte
Art.2 des Vertrages der Nordseestaaten vom 6.Mai 1882 in seinem
zweiten Absatz: „In den Buchten ist das Gebiet der drei Seemeilen
von einer geraden Linie ab zu rechnen, welche in dem dem Eingang
der Bucht zunächst gelegenen Teile von einem Ufer derselben zum anderen
da gezogen gedacht wird, wo die Öffnung zuerst nicht mehr als 10 See-
meilen beträgt.“
Viel weitergehende Ansprüche auf die Baien und Buchten (kings
chambers) sind. von englischer Seite wiederholt erhoben, von den
übrigen Mächten aber nicht anerkannt worden. Danach splite das
ganze Wassergebiet, das zwischen den am meisten vorspringenden Land-
spitzen gelegen ist, als Eigengewässer der vollen Herrschaft des Ufer-
staates unterworfen sein.
V. Die Gebietshohelt umfaßt die nationalen Staatsschilfe, die auch in frem-
den Küsten- und Eigengewässern von der Staatsgewalt des Aufenthaltsortes
befreit sind; die nationalen Handelsschiffe auf offener See sowie teilweise (oben
8. 82) auch in fremden Gewässern.!5)
Es ist daher nicht nur grundsätzlich die Ausübung jeder Staats-
hoheit durch einen andern als denjenigen Staat ausgeschlossen, dem
das Schiff seiner Flagge nach angehört, sondern die Schiffe gelten
nach dem nationalen Recht der meisten Staaten als „‚schwimmende
Gebietsteile‘“ (territoire flottant) dieses Staates, als „Scholle des
Heimatlandes“. Die an Bord des Schiffes sich abspielenden Ereig-
nisse gelten als in dem Staate vorgekommen, dem das Schiff seiner
Flagge nach zugehört (oben S.80). Wird auf einem im Kieler Hafen
liegenden russischen Kriegsschiffe der Kommandant ermordet, so muß
die Tat als in Rußland begangen angesehen werden!®). Flüchtet sich
ein Verbrecher auf ein Kauffahrteischiff, so gelten für seine Aus-
lieferung (von dem Hausrecht des Kapitäns abgesehen) dieselben
Rechtsregeln, als wenn er sich auf das Landgebiet geflüchtet hätte.
Entsprechend ist die Rechtslage eines an Bord des Schiffes gelangten
Sklaven zu beurteilen. Der Kapitän eines Kriegsschiffes kann dagegen
Asyl gewähren oder ausliefern, ohne daß die Regeln des Ausliefe-
rungsverfahrens zur Anwendung kämen.
15) Ferber, Internat. Rechtsverhältnisse der Kriegs- und Handelsschiffe
im Krieg und Frieden. 1894. Stoerk, H.H. II 434. Perels, LA. I 461,
677. de Witt-Hamer, R. J. XXXVI2%. AnnuaireXVI. Merignhao I 548,
Nys U 167.
16) Das ergibt die Analogie aus der den fremden Handelsschiffen (oben zu
Note 13) eingeräumten Rechtsstellung. Anders beim Gesandtschaftshotel (unten
815 VIB3).
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