Dogmatische Erörterungen. 77
Ordnung auf einer Erbverbrüderung, so wird dadurch an ihrem staats-
rechtlichen Charakter nichts geändert. Sie hat Giltigkeit nicht, weil
ihr die Erbverbrüderung zu Grunde liegt, sondern weil die Erbver-
brüderung ein Theil der Verfassung geworden ist. Von einer Erbver-
brüderung als einem Erbeinsetzungsvertrag kann in staatsrechtlicher
Beziehung heute keine Rede mehr sein. Eine heute noch giltige Erb-
verbrüderung besteht vielmehr aus Verfassungsbestimmungen verschiedner
Staaten. Die Verfassung des Staates A setzt fest, daß nach dem Aus-
sterben des Mannsstamms des regierenden Hauses ein Mitglied des
Hauses B zur Thronfolge berufen sein soll und die Verfassung des
Staats B setzt fest, daß in dem betreffenden Fall ein Mitglied des
Hauses A zur Thronfolge berufen sein soll. 200) Diese Umwandlung
zieht aber manche Folgen von großer Wichtigkeit nach sich. Die ein-
zelnen Bestimmungen der Erbverbrüderung können nicht mehr durch
Uebereinstimmung der beiden Häuser allein abgeändert werden. Hierzu
müssen alle Bedingungen, welche die Verfassung zur Abänderung von
Verfassungsgesetzen vorschreibt, erfüllt werden. Vor allem wichtig aber
ist die Frage, in welcher Weise das Erbfolgerecht zur Ausübung kom-
men kann, nachdem der Staat und die Staatsgewalt ihre Natur völlig
geändert haben. Solange die Erbverbrüderung ein lehnrechtliches
Institut war, mußten die Grundsätze über Gesammtbelehnung die
Normen sein, nach welchen sich in dem eintretenden Falle des Aus-
sterbens des einen Hauses die Erbfolgeordnung zu regeln hatte. Wie
oben berührt worden ist, bestand der Kern der Gesammtbelehnung
200) Daß diese Bestimmung in der geschriebnen Verfassungsurkunde enthalten
sei, ist nicht nothwendig, da die Erbverbrüderung von dem Fürsten geschlossen wurde
zu einer Zeit, wo dieser (oder vielmehr das fürstliche Haus) in Betreff der Regie-
rungsnachfolge allein die gesetzgebende Gewalt inne hatte. Sie behält deßhalb als
Gesetz so lange Giltigkeit, bis sie in verfassungsmäßiger Weise aufgehoben wird.
Soweit sie die Regierungsnachfolge in dem einen Staate betrifft, wird sie aber auf-
gehoben, wenn die Verfassungsurkunde des betresfenden Staates eine andere Ordnung
der Negierungsnachfolge für den Fall des Aussterbens des regierenden Hauses enthält.