Full text: Die Erbverbrüderungen zwischen den Häusern Sachsen und Hessen und Sachsen, Brandenburg und Hessen.

82 Dogmatische Erörterungen. 
maßgebend gewesen, noch für die heutige Succession in die Regierung 
Giltigkeit beanspruchen kann. Sind nach ihr alle lehnsfolgefähigen 
Nachkommen des Gründers der Erbverbrüderung zu gleichen Theilen 
auch erbfolgeberechtigt, so ist anderer Seits der Natur des Verfassungs- 
staats zufolge sowohl die Staatsgewalt als das Staatsgebiet untheil- 
bar. Aber nicht allein die Natur der Sache, sondern alle ge- 
schriebnen Verfassungen 312) erklären die Untheilbarkeit des Staatsgebiets 
mit klaren Worten. Es liegt also ein Widerspruch zwischen dem ältern 
Gesetze über die Regierungsnachfolge — denn als solches ist die Erb- 
verbrüderung anzusehen — und den neuern Staatsgrundgesetzen vor. 
Da durch die Verfassungen theils ausdrücklich theils stillschweigend als 
selbstverständlich alle ältern ihnen widersprechenden Gesetze aufgehoben 
worden sind, so kann es keinem Zweifel unterliegen, daß auch die Erb- 
verbrüderungen, soweit ihre Bestimmungen den neuern Verfassungen 
widersprechen, aufgehoben sind. Auch die in der Erbverbrüderung be- 
gründeten Rechte zur eventuellen Thronfolge können nicht anders be- 
trachtet werden als gesetzmäßige Bestimmungen der Thronfolgeordnung; 
keineswegs aber als Ansprüche, die über und außerhalb des Staats 
und seiner Ordnung stehen. Wenn der Staat ein in sich selbst ruhen- 
der, unabhängiger Organismus ist, so kann die Ordnung seines Lebens 
nicht mit unabänderlicher Nothwendigkeit gebunden sein an Bestimmun- 
gen, welche getroffen wurden, als es einen Staat im heutigen Sinne 
noch gar nicht gab. Wenn der Fürst nicht mehr außerhalb der Ord- 
nung des Staates steht, wie könnte behauptet werden, daß die An- 
sprüche von Personen, die selbst nicht Mitglieder des Staates sind, 
über jener Ordnung stehen. Und nicht allein um ein starres Festhalten 
oder Aenderung der Staatsverfassung handelt es sich, sondern um die 
Existenz des Staates selbst. Bildet der Staat ein einheitliches Ganzes 
  
212) Verfassung des Königreichs Sachsen. § 1: Das Königreich Sachsen ist 
ein unter einer Verfassung vereinigter, untheilbarer Staat. Weimar. Grundgesetz 
1, Altenburg Grundgesetz & 1, Coburg-Gotha & 1, Meiningen §& 1, Hessen-Darm- 
stadt § 1.
	        
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