4 I. Die Gründung des Norddeutschen Bundes u. des Deutschen Reiches.
deutschen Volke einen hohen Preis, um den es allein seine
nationale Einheit erkaufen konnte, einen blutigen Bürgerkrieg.
Er mußte entweder zur Zertrümmerung der Monarchie Friedrichs
des Großen, der einzigen reindeutschen Großmacht, und damit
zur Unterwerfung Deutschlands unter die Gewalt Osterreichs
führen, eines Staates, dessen Schwerpunkt nicht mehr in seinen
deutschen, sondern in seinen ungarisch-slawisch-italienischen
Ländern lag — oder aber er mußte die Lostrennung jener
edlen und kernhaften deutschen Stämme von Deutschland herbei-
führen, die unter dem Zepter Habsburgs in der österreich-
ungarischen Monarchie vereinigt sind. Wir stehen heute jenen
Zeiten fern genug, um auch den Männern gerecht zu werden,
die in dem geeinten Deutschland die österreichischen Stämme nicht
missen wollten und die deshalb die Gefahren, die in der Beherrschung
Deutschlands durch Osterreich-Ungarn lagen, unterschätzten.
Die früher leidenschaftlich erörterte Frage, ob im Jahre
1866 Osterreich oder Preußen den Krieg herbeigeführt, ist nur
von einem sekundären historischen Interesse. Die Zeit war reif
und der Krieg um die Vorherrschaft in Deutschland unvermeidlich.
Am 14. Juni 1866 erklärte der preußische Gesandte in der
Bundesversammlung zu Frankfurt a. M. im Namen seines
Königs, daß durch den Beschluß des Bundestags die Bundes-
verträge gebrochen und damit der Bund erloschen sei. Dieser
Erklärung schlossen sich die norddeutschen und die meisten mittel-
deutschen Staaten an. Der Widerstand Osterreichs und der
mit ihm verbündeten Mittel= und Kleinstaaten in Süd= und
Mitteldeutschland mußte mit Waffengewalt gebrochen werden.
Am 18. Juni erklärte Preußen ihnen den Krieg. Am 3. Juli
ward die Schlacht von Königgrätz geschlagen, und ohne ernst-
haften Widerstand zu finden, konnten die preußischen Truppen
bis vor die Tore Wiens rücken. In dem Präliminarfrieden
von Nickolsburg vom 26. Juli mußte Osterreich, in den im
August und September des Jahres 1866 geschlossenen Friedens-
verträgen mußten die anderen deutschen Staaten, soweit sie in
dieser Krisis nicht ihren Untergang gefunden, die Auflösung
des Deutschen Bundes anerkennen. Durch die Einverleibung
von Schleswig-Holstein, Hannover, Kurhessen, Nassau und
Frankfurt a. M erhielt Preußen ein in sich geschlossenes, ab-
gerundetes Gebiet und konnte nun erst völlig ebenbürtig den
anderen europäischen Großmächten zur Seite treten.