18 I. Die Gründung des Norddeutschen Bundes u. des Deutschen Reiches.
wurde, nicht mehr vorhanden sind. Man drückt dies in der
Formel aus, daß ein jeder solcher Vertrag die stillschweigende
Klausel rebus sic stantibus enthalte. Sie ist dem Völkerrechte
unentbehrlich, sie ist aber nicht nur dem Völkerrechte eigen,
sondern sie gilt ebenso für wichtige Verträge des Privatrechtes.
Freilich hat auf dem Gebiete des Privatrechtes, wenn Streit
darüber entsteht, ob die Voraussetzung für ihre Anwendung
vorhanden ist, der über den Parteien stehende Richter zu
entscheiden. Der souveräne Staat untersteht keiner richterlichen
Gewalt und kann keiner unterstehen, denn damit würde er auf-
hören, souverän zu sein. Er selbst hat allein darüber zu er-
kennen, ob die Voraussetzung der Klausel rebus sic stantibus
eingetreten ist und ob er von ihr Gebrauch machen will. Wäre die
Ansicht Seydels, daß das Reich ein Verein souveräner Staaten sei,
richtig, so wäre der Fortbestand des Reiches gefährdet sobald
ein Staat den Entschluß fassen sollte, sich vom Reiche loszusagen.
Um dieser Folgerung zu entgehen, verweist Seydel auf
den Eingang der Verfassung, in welchem die deutschen Staaten
erklären, einen „iswigen Bund“ zu schließen. Damit sei das
einseitige Ausscheiden eines Staates aus dem Bunde auf Grund
der Klausel rebus sic stantibus für rechtlich unzulässig erklärt.
Demgegenüber kann man sich nicht, wie dies geschehen ist,
darauf berufen, daß der Eingang der Verfassung keinen Bestand-
teil derselben bilde und keine Rechtssätze enthalte, sondern nur
eine geschichtliche Tatsache berichte. Das ist eine willkürliche
Behauptung. Auch der Eingang gehört zur Verfassungsurkunde
für das Deutsche Reich (Ges. v. 16. April 1871 § 1) und zur
Verfassung auch im Sinne des Art. 78 (eine Ansicht, die
Seydel allerdings nicht geteilt hat). Ausdrücklich erklärte der
Präsident des Bundeskanzleramtes, der Staatsminister Delbrück,
im Reichstage: „Ich kann konstatieren, daß es die Atbsicht
gewesen ist, unter der Verfassung des Bundes nicht nur die
einzelnen Artikel, sondern auch den Eingang zu begreifen.“
Aber die Worte beweisen nicht, was sie nach Seydel beweisen
sollen. Bis in die neuere Zeit wurden die meisten Verträge,
die nicht für bestimmte Zeit geschlossen wurden, auf „ewige
Zeit“ abgeschlossen. Das aber ist nur eine Formel und kann
nur eine Formel sein. Für ewige Zeit kann kein Mensch und
kein Staat etwas bestimmen. Trotz dieser Formel hat jeder
souveräne Staat für sich das Recht in Anspruch genommen,