Full text: Grundzüge der Verfassung des Deutschen Reiches.

36 II. Das Reich und die Bundesstaaten. 
diese terminologische Streitfrage ist nur von geringem Interesse. 
Die für die Erkenntnis des Staatsrechtes wichtige Frage ist 
vielmehr die, ob es Herrschaftsverhältnisse gibt, die keine souve- 
räne Staaten sind, die sich aber durch wesentliche Elemente von 
den Gewaltverhältnissen und Gemeinwesen unterscheiden, die 
einem Staate untergeordnet sind. Gibt es solche politische Ge- 
meinwesen, so liegt kein Grund vor, sie nicht mit den souveränen 
Staaten unter den Begriff des Staates zusammenzufassen und 
sie dem herrschenden Sprachgebrauch folgend ebenfalls als Staaten 
zu bezeichnen. 
Wodurch unterscheiden sich, wenn ich der Frage eine 
konkretere Fassung geben darf, die deutschen Bundesstaaten, die 
Staaten der Union, die Kantone der Schweiz von Provinzen 
und Kolonien, denen eine ausgedehnte Selbständigkeit zukommt, 
wie sie etwa die englischen Kolonien in Kanada, Australien, 
Südafrika besitzen? Diese englischen Kolonien haben keine 
selbständige Herrschergewalt. So weit ausgedehnt ihre Autonomie, 
ihr Recht sich selbst Gesetze zu geben ist, so mächtig ihre Selbst- 
verwaltung ist, so stark in ihnen das Gefühl der Unabhängig- 
keit ausgebildet ist, so haben sie doch eine selbständige Herrscher- 
gewalt nicht. Ihre Verfassung ist ihnen gegeben durch ein 
englisches Gesetz und kann nur durch ein englisches Gesetz ab- 
geändert werden, soweit nicht das englische Gesetz selbst eine 
Abänderung durch das Kolonialgesetz zuläßt. Ein englisches 
Gesetz könnte jederzeit die gesamte Kolonialverfassung wieder 
aufheben und jede Kolonie zu einer Kronkolonie erklären, so 
wenig wahrscheinlich es ist, daß dies je geschehen wird. Die 
selbständige Herrschergewalt hat sich England vorbehalten. Die 
Zuständigkeit Englands, des King in parliament, ist durch 
die Kolonialverfassungen nicht beschränkt worden. Es gibt kein 
Gebiet der staatlichen Tätigkeit, auf dem nicht der König mit 
dem englischen Parlamente auch für die Kolonien ein Gesetz er- 
lassen könnte. Aber auch soweit diese Kolonien Kolonialparlamente 
haben, erhält der von dem Kolonialparlament beschlossene 
Gesetzentwurf Gesetzeskraft nur durch die königliche Gewalt. 
Der Gouverneur kann im Namen des Königs die Sanktion 
erteilen, er kann aber auch die Sanktion dem Könige selbst 
vorbehalten, wenn er dies aus irgendeinem Grunde für er- 
forderlich erachtet. Und selbst wenn der Gouverneur die 
Sanktion erteilt hat, kann der König durch eine im Geheimen
	        
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