Full text: Grundzüge der Verfassung des Deutschen Reiches.

50 III. Der Kaiser und der Bundesrat. 
von einer solchen Korporation irgend etwas zu vermelden 
weiß. Wiederum andere erklären den Kaiser für den Souverän 
und das Reich für eine Monarchie. Keine dieser Antworten 
ist befriedigend, keine läßt sich mit den klaren Bestimmungen 
unserer Verfassung vereinigen. Alle diese Untersuchungen gehen 
von der Voraussetzung aus, daß begriffsmäßig nur eine 
Person — sei es eine physische oder eine sogenannte juristische 
Person — Trägerin der Souveränität sein könne. Dieser 
Satz scheint den meisten so einleuchtend zu sein, daß sie ihn 
eines Beweises gar nicht bedürftig halten. Sie nehmen an, 
daß er sich mit logischer Notwendigkeit daraus ergebe, daß die 
souveräne Staatsgewalt eine einheitliche sein müsse, oder sie 
bezeichnen ihn geradezu als ein Axiom. Und doch ist der Satz 
unbegründet und steht im Widerspruch wie mit der Verfassung 
des Deutschen Reiches, so auch mit der mancher anderer 
Staaten. Allerdings ist die souveräne Staatsgewalt als die 
höchste Herrschergewalt auf einem und demselben Gebiete eine 
einheitliche und muß eine einheitliche sein. Die höchste Gewalt 
kann keine gleich hohe Gewalt in demselben Bereiche neben sich 
dulden. Denn sie allein will und muß in ihrem Bereiche 
herrschen. Nehmen zwei Personen für sich die höchste Gewalt 
auf demselben Gebiete in Anspruch und suchen sie diesen An- 
spruch zu verwirklichen, so müssen sie notwendigerweise auf- 
einanderstoßen und aus dem Kampfe muß die eine der Gewal- 
ten als Siegerin hervorgehen oder beide müssen untergehen und 
der Staat einer dritten Gewalt zur Beute fallen. Aber die 
Staatsgewalt ist nicht eine Sache, die nicht ohne Verlust ihres 
Wesens geteilt werden könnte, sondern sie ist nur ein zusammen- 
fassender Ausdruck für die Herrscherfunktionen, für die Funktionen 
der Erklärung und der Ausführung des staatlichen Willens. 
Die Staatsgewalt existiert nur in der Betätigung des Staats- 
willens und in der Betätigung der Staatsmacht. So steht es 
nicht in Widerspruch mit der Einheitlichkeit der Staatsgewalt, 
daß sie ihren Funktionen nach an mehrere Personen zu 
selbständigem, unentziehbarem Rechte verteilt ist. Eine solche 
Verteilung der staatlichen Funktionen an mehrere Personen zu 
selbständigem und unentziehbarem Rechte kann allerdings leicht 
die Gefahr in sich bergen, daß die Inhaber dieser verschiedenen 
Funktionen der Staatsgewalt statt miteinander gegeneinander 
wirken und den Staat dadurch der Zerrüttung und Auflösung
	        
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