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realistischen Maler, der Genrebilder entwirft. Er ist ein Virtuos
der Sittenschilderung, der zu jedem Mittel greift, außer zur bewußten
Possenreißerei. Er will drastisch sprechen, und er fühlt nicht, daß
er grob und roh wird. Es kommt ihm z. B. nicht darauf an,
Kaiphas einen großen Schweinskopf zu nennen, oder den ungläu-
bigen Thomas als einen groben Filz und groben Kegel zu bezeichnen,
der einen dicken tollen Kopf hatte, oder von dem Heiland zu er-
zählen: „Er schlief auf dem Schiff wie ein Hase mit offenen Augen“
— oder den Juden nachzusagen: „Sie aßen in der Wüste Kramets-
vögel, daß ihnen die Schnäbel zu der Nase heraus hingen.“
Welche tiefen Gedanken, welche erhabenen Bilder hatte Meister
Eckard in Bewegung gesetzt, um das Aufsteigen zu Gott, die Zu-
rückziehung von der Sinnlichkeit auszumalen. Dr. Geiler nimmt
ein Gleichnis von der Gerberei, um die Verwandlung zu schildern,
welche durch ein beschauliches Leben mit dem Menschen vorgeht.
„Wenn es ihn vorher gelüstet hat nach dem Fleischlichen, so wird
es ihn jetzt gelüsten nach dem Geist, wie eine Haut, die man gerbt,
nicht mehr Fleisch ist, sondern zu Leder wird.“
Um Abstractes zu veranschaulichen, um durch Unerwartetes zu
überraschen und durch Auffallendes zu fesseln, ist Geiler ganz rück-
sichtslos. Würde des Gegenstandes scheint für ihn nicht vorhanden.
„Die bekehrten Sünder sind Kameele“, behauptet er einmal und
führt den Beweis in allen Regeln eines Vergleiches durch. „Die
Seele des Menschen ist durch die Erbsünde gleich geworden einem
Esel und vom bösen Geist gebunden mit sieben Halftern“: dies ist
das Thema einer anderen Predigt. Die Sünden des Mundes find
ihm Fliegen und Mücken, die den Mund verunreinigen, und die
Gegenmittel, die er empfiehlt, kündigt er als Fliegenwedel und Leim-
ruthen an, das Schweigen ist ein Fliegengarn. Wie ein Mensch
zum vollkommenen Leben gelangen solle, demonstrirt er an einem
Hasen, an dessen Eigenschaften und Lebensgeschichte, von den langen
Ohren an bis zum Abhäuten, Spicken, Braten und zur Sauce, dem
„Pfeffer“: darunter versteht er das Kloster.