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sein Publicum versammelt hatte. Und als das verweigert wurde, ver-
fertigten die Schreiner in der nahen Kurbengasse schnell eine tragbare
Kanzel von Holz, welche-sie jedesmal aufschlugen, wenn Meister
Mathis predigen sollte.
Das im Jahre 1521 von Worms ausgegangene kaiserliche
Verbot, lutherische Bücher zu drucken und zu verkaufen, wurde in
Straßburg nur zögernd publicirt und bald wieder misachtet. Auf-
geklärte und hochgestellte Geistliche, insbesondere manche Domherren,
wirkten selbst auf den Rath im reformatorischen Sinne ein. Der
Jurist Nicolaus Gerbel, ein Mann von gediegener classischer Bildung,
hielt sich mit Luther, mit Hutten in ununterbrochener Correspondenz.
Elsässische Edelleute erklärten sich in Flugschriften für die Reformation
und beglückwünschten die Straßburger zu dem religiösen Umschwung,
der sich dort fühlbar machte. Was half es, daß der Leibjournalist der
päpstlichen Partei, Thomas Murner, alle Schleusen seiner Schmäh-
kunst eröffnete: unter den etwa zwanzig Druckern, welche Straßburg
bamals zählen mochte, ließ sich nur ein einziger noch herbei, seine und
andere katholische Schriften zu drucken. Schon kehrte sich die städtische
Censur gegen den bissigen Franciscaner und verurtheilte seine Bro-
schüren zur Verbrennung; schon wurde in einer Flugschrift der Evan-
gelischen der Satz aufgestellt, daß „aller geistliche Stand schuldig sei
der weltlichen Obrigkeit zu gehorsamen“; schon hatte Meister Mathis
unter den anderen Priestern Nachfolge gefunden; und als der Bischef
ihn zur Strafe ziehen wollte, da gab es der Rath nicht zu und
ermahnte ihn, das Wort Gottes und die heilige Schrift wie bisher
tapfer und ohne Furcht zu predigen, dabei man ihn schützen und
schirmen wolle. Auch die Reclamationen des päpstlichen Legaten
wurden zurückgewiesen, ohne Ostentation, ohne ausdrückliche Partei-
nahme, aber mit Kraft und Würde, unter Hinweis auf die Nothwendig-
keit einer Reform, die schon Dr. Geiler so lange erfolglos begehrt habe.
Meister Mathis aber vertheidigte sich gegen die Anklagen des
Bischofs in einer Schrift, welche als das eigentliche Manifest der
Reformation in Straßburg zu betrachten ist.