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In kräftiger Rede, mit gediegenem Urtheil, oft mit Laune, oft
mit bitterer Rüge und erschütterndem Ernst, schildert Zell darin den
traurigen Zustand der elsässischen Kirche und vertheidigt die evan-
gelische Wahrheit gegen den privilegirten Priesterstand. Richt
Luthers Lehre habe er gepredigt, sondern die Lehre der Schrift.
Nicht zum Aufruhr habe er gereizt — Beweis sei die besonnene
Haltung des Straßburger Volkes — sondern nur himmelschreiende
Miesbräuche habe er angegriffen. Er redet die Sprache eines Mannes,
der die Macht des Feindes nicht unterschätzt, aber ihm mit Fassung
und ruhiger Zuversicht gegenüber tritt. „Wenn ihnen ihre Klagen
gelingen — sagt er voll Ergebung — so ists um mich gethan.
Wohl hin in Gottes Namen! Nehmen sie mir mein Haus, so hoff
ich, mir sei ein anderes Fereit im Himmel, das nicht mit Händen
gemacht ist.“.“
Trotz seiner Biederkeit, Ueberzeugungstreue und Tapferkeit wäre
Zell der Mann nicht gewesen, um das muthig Begonnene allein
glänzend ans Ziel zu führen. Ein Glück, daß die Reformpartei zu
Straßburg so bald eine bedeutende Verstärkung erhielt.
Zells Vertheidigungsschrift erschien 1523, und in demselben
Jahre fanden sich Capito, Butzer und Hedio in der Stadt ein.
Der erste ein Alterögenosse Zells, ein Mann von 45 Jahren, die beiden
anderen noch in frischester Kraft, Butzer 32, Hedio 29 Jahre alt.
Wolfgang Köpfel oder Capito (geb. 1478) war der Sohn
eines Schmiedemeisters und Rathsherren zu Hagenau, der die Pfaffen
haßte und aus seinem Sohn am liebsten einen Mediciner gemacht
hätte.. Dieser aber war eine echte Gelehrtennatur und durchlief
wißbegierig alle Facultäten um zuletzt doch bei der Theologie
Halt zu machen. Er wurde rasch ein vornehmer Mann. In kurzer
Frist stieg er zu bedeutenden Stellungen auf, die ihn mit den höheren
Schichten der Gesellschaft in förderliche Verbindung brachten und
ihm meist auch die erwünschte Muße zu wissenschaftlicher Thätigkeit
gewährten. Er war ein Bewunderer des Alterthums das — wie
er sagte — durch eine eigene ehrwürdige Majestät ihn anzog, und