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Vorstand der Staatskirche, und entwickelte als solcher eine fabel-
hafte Thätigkeit. Seine zahllosen Geschäfte, welche jeder neue Tag
vermehrte, seine weitläufigen Correspondenzen als Gelehrter, als
Seelserger, als Haupt der evangelischen Kirche Oberdeutschlands,
seine häufigen Reisen, seine Vorlefungen, seine Arbeiten als Pre-
diger und Seelsorger: das Alles wußte er zu bewältigen und war
daneben noch einer der fruchtbarsten Schriftsteller der Zeit: das
Verzeichnis seiner Werke weist nicht weniger als vierundneunzig
Nummern auf.
Der Stadtrath von Straßburg.
Wie kam es, daß in Straßburg alles so glatt und leicht von
Statten ging? Wie kam es, daß in Straßburg so viele Dinge
ganz wie selbstverständlich eingerichtet wurden, über welche ander-
wärts noch lange Zwist und Meinungsverschiedenheit bestand? Wie
kam es, daß sich Straßburg selbst von einem Gegner wie Erasmus
von Rotterdam das Lob verdiente: nirgends sei die Reformation
mäßiger und mit geringerem Tumulte durchgeführt worden?
Einen der entscheidenden Factoren, die Prediger mit ihrem
milden friedfertigen Geist, haben wir bereits kennen gelernt. Aber
auch die anderen wirkenden und gegenwirkenden Kräfte der Straß-
burger Reformation vereinigten sich zu demselben Resultat eines
langsamen, ruhigen, dabei sicheren Ganges.
Wer am meisten Beruf hatte, Einsprache zu erheben und sich dem
Neuerungsgeiste entgegenzuwerfen, war der Bischef Wilhelm II.
von Hohenstein, unter dessen Regierung die Bewegung begann
und auch ihr Ziel erreichte.
Als er gewählt wurde, brachte ihm die Bürgerschaft nicht eben
großes Vertrauen oder übermäßige Heffnungen entgegen. Man
hatte damals schon zu sehr gelernt, den geistlichen Herren hinter die
Coulissen zu blicken. Man wußte wie es bei der Wahl hergegangen
war, was da für Intrignen spielten, wie sie durchkreuzt wurden,