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conventes nach Hedios Tode erhielt und dasselbe achtundzwanzig
Jahre bis an sein Lebensende 1581 bekleidete. Seine Physiognomie
war die eines Raubvogels, große Habichtsnase, breiter Mund,
stechender Blick, üppiger Haarwuchs und Vollbart. Er hatte etwas
wildes, schreckenerregendes. Er war ein mähiger Gelehrter, ein zorn-
und haßerfülltes Gemüth, unduldsam und tyrannisch, dabei habsüchtig
und geldgierig. Gleich nachdem er seine erste Predigt in Straßburg
gehalten, sagte der kluge Menschenkenner Butzer: „Dieser anmaßende
Theologe wird der Kirche noch viel Unglück bringen.“
Jacob Sturm war kaum todt, so enthüllte sich Marbachs rück-
sichtslose Hartnäckigkeit in der Agitation gegen das Interim, und
der ehrwürdige Altammeister Mathias Pfarrer, der Schwiegersohn
Sebastian Brants, der treue Genosse Sturms auf unzähligen Ge-
sandtschaften, hielt ihm das Unwürdige seines Betragens vergeblich
vor: „Die alten verstorbenen Prediger — sagte er — haben sich
nie etwas der Art unterstanden; Ihr wollt die gutherzige Obrigkeit
misbrauchen und in Sack schieben: ist das evangelischer Prediger
Arts heißt das chriftliche Demuth?" Nein, demüthig war Marbach
nicht. Er gehörte zu jenen protestantischen Päpstlein, welche unter
dem Schilde des großen Namens Luther ihre Ideenlosigkeit zu
verbergen und ihren persönlichen Machtkitzel zu befriedigen suchten.
In Straßburg galt es, das Andenken Butzers und seiner Genossen
herabzusetzen; es galt die Tetrapolitana zu verunglimpfen; es galt
zu verdammen und zu verketzern und aus den Leichen moralisch
vernichteter Sacramentsschwärmer, Zwinglianer, Calvinisten einen
Thron für das alleinseligmachende Lutherthum zu erichten. Recht-
gläubigkeit hieß das Medusenhaupt, das man den freisinnigeren
Gegnern verhielt. Es war eine unangenehme Gesellschaft, diese
neuen Prediger. Mit Vergnügen liest man, wie Zells Wittwe sie
abkanzelt. „Ihr jungen Gecken — sagte sie ihnen ins Gesicht —
ihr wähnt die umzustoßen, deren Gürtel ihr kaum erreicht, aber die
Schleuder und den Geist Davids habt ihr nicht, auch keine Philister
vor euch.“