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opferung, sondern auch ein gut Theil beklagenswürdiger Schwäche
im Spiel. Er fühlte sich geschmeichelt durch die Gunst hochgebore-
ner Abenteurer, die ihn nur als bequemes Werkzeug ausnutzten.
Wir vermissen an Sturm jene stolze patriotische und bürgerliche
Sprödigkeit, die wir für das wesentlichste Zeichen unabhängiger
Männlichkeit ansehen. Wir beobachten an ihm Züge von Kleinheit,
welche auch sonst öfters bei Rednern, Dichtern, Künstlern mit for-
meller Virtuosität gepaart auftreten. Solche Naturen sind nicht
auf sich selbst gestellt, sie brauchen die Menschen, sie sind empfind-
lich, reizbar, eitel; sie geizen um Beifall und können Widerspruch
nicht vertragen; sie sind, wo sich ernsterer Widerstand zeigt, Anfällen
von Muthlosigkeit und Verdüsterung unterworfen, in denen sie das
Spiel vor der Zeit verleren geben. Und dech genügen vielleicht
einige blendende Phrasen, einiger aristokratischer Parfum, um ihre
ermattete Seele wieder aufzurichten und in Schwingungen von über-
mäßiger Heftigkeit zu versetzen.
Alles dies paßt auf Johannes Sturm, den eleganten Cicero=
nianer mit der vornehmen würdevollen Haltung, dem bedeutenden
ausdrucksvollen Gesicht, den beredten Lippen, dem schönen langen,
sorgfältig in Locken geordneten schwarzen Bart. Er blickte manch-
mal recht hochmüthig herab auf die bürgerliche Gesellschaft, die ihn
umgab, als deren Grundzug ihm die Mittelmäßigkeit erschien. Aber
haben ihm seine Beziehungen zu hohen Herrschaften, auf die er so viel
Gewicht legte, auch nur das geringste reelle Glück gebracht?
Gleichviel jedoch, wie man in dieser Hinsicht über Sturm urtheilen
und aburtheilen mag, er war immer der herverragendste Mann Straß-
burgs in der zweiten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts und das Haupt
der freisinnigen religissen Partei, die sich im übrigen aus den ange-
sehensten Lehrern der Hochschule und des Gymnasiums, insbesondere
den Italienern wie Petrus Martyr und Hieronymus Zanchi, aus den
sonstigen anwesenden Fremden, namentlich der französischen Gemeinde,
und aus den wenigen Ueberbleibseln der alten Straßburger Kirche,
wie Frau Katharina Zell und Konrad Hubert (S. 183), zusammensetzte.