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Wie Sophora in einem Monologe ihrer Liebe Worte leiht; wie sie
den gewaltigen Amor anruft, das gestrenge Kind — was es ihm
denn für Ehre bringe, ein schwaches Weib zu bezwingen? —; wie
sie dann schwankt zwischen dem heißen Wunsch der Gegenliebe und
doch kämpft mit ihrer Leidenschaft „du schändliches Feuer, weich weit
hindan“; und wie sie gleich wieder im nächsten Augerblick sich mit
dem Gedanken beschäftigt, ihm ihre Liebe zu gestehen — aber Scham
werde ihr den Mund verschließen — doch nein, sie wolle ihm schrei-
ben — und wie er dann zufällig hereintritt und alle ihre Entschlüsse
und Vorsätze dahin schmelzen:
Er ists, ich wags und sollt ich schon —
Eia meines Herzens höchste Kron, v
Du bists, nach dem mein Herz verlangt,
An Dir mein Leib und Leben hangt —
und wie dann ein glühendes Bekenntnis folgt; wie sie abgewiesen
wird und nun die Reue in ihr mit neuer Hoffnung streitet; wie sich
dann ihre Verlogenheit und Falschheit zuerst gegenüber dem Gatten
effenbart und nachher, als Joseph bei einem neuen Liebesattentate
fest bleibt, sich gegen ihn kehrt, worauf die bekannte Entwicklung
folgt: — das Alles, so wenig wir es absolut genommen allzuhoch
anschlagen dürfen, hat in der original-deutschen dramatischen Poesie
des sechszehnten Jahrhunderts kaum irgendwo seines gleichen.
Dabei gebietet der Dichter über einen vergleichsweise melodischen
streng gebauten Vers und über eine wirklich poetische Sprache (ein
seltener Vorzug in jener Zeit) und er ist gleich weit entfernt von
akademischer Rhetorik wie von schulmeisterlicher Geschwätzigkeit: die
Sprache hat ihre ganze unberührte Kraft und ungezwungene Freiheit.
Das Werk des Bürgers Thiebold Gart ist von seinen Zeit-
genossen mit Beifall aufgenommen und noch mehrfach gedruckt
worden. Man hat ihm aber doch Wickrams Tobias offenbar weit
vorgezogen. Von keinem Stücke des sechszehnten Jahrhunderts können
wir eine so große Bühnenwirkung und Verbreitung nachweisen, wie