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Mutter Cassiopea, deren Egoismus, Stolz, Eitelkeit und gottesläster-
licher Uebermuth keine Grenzen kennt, bis sie das Unglück beugt.
Ein verwandter Charaktertypus kehrt in der Jesabel, in der
Cleopatra und im Nebukadnezar wieder. Der Ausbruch des Wahn-
sinns bei dem letzteren (alle seine Reden athmen von vornherein
Größenwahn) ist vortrefflich geschildert. Ueberall bildet Gottes Macht
und Herrlichkeit den Hintergrund, von welchem alle Figuren, die unser
Dichter schafft, sich abheben. Leider spielt die überirdische Welt in
unmittelbaren Vertretern manchmal zu aufdringlich in Brülows
Dramen herein. Man sieht auch in anderen Dingen deutlich: er
ist theologisch und selbst schulmeisterlich beengt. Darum kann es
ihm wol begegnen, daß er dem Lehrhaften zu breiten Raum vergönnt.
Im „Cäsar“ werden wir nicht blos über die ganze römische Geschichte,
sondern bei Gelegenheit der Ermordung Ciceros auch über dessen
sämmtliche Werke belehrt. Und durchweg bindet sich der Dichter
ängstlich an die gegebene Erzählung, freie Erfindung ist so gut wie
ausgeschlossen. ·
Dennoch war Brülow leicht das bedeutendste dramatische Talent,
das unsere Litteratur in der Zeit vor Lessing aufzuweisen hatte.
Wie viel konnte er leisten, wäre er in eine freiere Atmosphäre ver-
setzt worden, hätte er etwa inmitten einer glänzenden, gebildeten
Aristokratie gelebt, hätte er die edelste Blüte einer ganzen Nation
zum Publicum gehabt.
Es liegt nahe, an seinen großen Zeitgenossen, an Shakspeare,
zu erinnern. Brülow reichte gewiß an Shakspeare nicht heran, aber
er übertraf Shakspeäres Vorgänger. Doch was half das unserer
nationalen Bildung? Was wäre Shakspeare selbst seinem Volke
geworden, wenn er lateinisch gedichtet hätte) Shakspeare wäre ver-
gessen, wie es Brülow ist.
Brülow übrigens steht nicht allein da in seiner Zeit, Brülow
ist nur der beste und fruchtbarste Dichter einer ganzen Schule, die
sich näher oder ferner an das Straßburger Akademietheater anschloß.
Neben ihm dichtete Johann Paul Crusius, ein geborner Straßburger,