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Mutter, dem rämischen Reich, an die enterbte Tochter, nun französi-
schen Stadt Straßburg“ geißelt die Treulosigkeit der Grenzstadt,
welche ihr Unglück selbst verschuldet hätte, und gibt dem Unmut Aus-
druck, daß die Straßburger nicht rechtzeitig kaiserliche Besatzung, wie
sie sollten, aufgenommen hätten. Sehr beachtenswerth ist, daß selbst
Leibnitz in den zahlreichen lateinischen und deutschen Gedichten, zu
denen ihn das Ereignis gestimmt hatte, einer gleichen Auffassung
vorzugsweise Raum gibt:
„Pfuy Straßburg, schäme dich..
.. mußt mit vielen Schmerzen
Verspotten lassen dich zu deiner Pein und Last.“
Von den politischen Schriften sind die, welche Leibnitzens Na-
men tragen, ein bleibendes Gut deutscher Litteratur geworden. Welche
prophetischen Worte sind es, die er da aussprach: „Wer den Schlüssel
zu seinem Hause seinem Nachbarn, seinem Feind, seinem formidabeln
Feind, einem Feind, der eine ewige Ambition und Jalonusie
gegen das römische Reich unterhält und nimmermehr gquittiren wird,
überlassen muß, der kann gewis nicht ruhig darin schlafen.“
Was konnten freilich alle diese poetischen und unpoetischen Er-
güsse helfen in einer Zeit, wo nur erst eine sehr leise Ahnung davon
hie und da in politischen Schriften hervortrat, wo und in welchem
Punkte die Quelle des Uebels, die Ursache der Schwäche deutscher
Nation zu suchen sei. War es nicht auffallend genug, daß ein so
erhabener Geist wie Leibmtz ein Ereignis in seiner ganzen politischen
Schwere erfassen und dabei in der conservativsten Reichstradition
leben und wirken konnte? — Zu keiner Zeit war der deutschen
Nation die Erkenntnis ihrer lebendigen und sterbenden Kräfte ver-
borgener, als im 17. und 18. Jahrhundert, wo man die Asche des
Reichs in staatsrechtlich geschmückten Urnen aufbewahrte, und sich
wunderte, daß daraus kein neues Leben sproß.
Was der Kaiser, was die deutschen Regierungen nach der Straß-
burger Gewaltthat in Szene setzten, um dem Erbfeind entgegen-