450
Aber es war ein schwerer Irrthum, solch ein Doppelverhältnis
auf die Dauer für möglich zu halten.
Wenn der Maire Friedrich Schützenberger im Jahre 1838 bei
der dritten Säcularfeier des Straßburger Gymnasiums einen Trink-
spruch mit dem Wunsche schloß: „Mögen unsere Söhne und Enkel
fortfahren, unser altes Volksthum zu pflegen, mögen sie, Franzosen
dem Herzen nach, nie aufhören, Straßburger zu sein“ — so lag
darin schon eine abwehrende Wendung gegen das allzuwillige und
allzuvöllige Verlassen deutscher Art, das immer mehr und mehr ein-
riß. Und hierüber läßt der poetische Drechslermeister Daniel Hirtz
keinen Zweifel, wenn er den Maire mit den Worten lobt:
Der Väter Sitten und ihr Sprooch,
Die sinn m nit zum Ekel noch,
Stroßburjer isch er un wills bliwe,
Wenns andri noch so afficht triwe.
Das „affichte Treiben“ nahm eben von Jahr zu Jahr zu.
Der böse Feind säte wälsches Unkraut unter den deutschen Waizen.
Die beständige Sprachvertauschung führte nachgerade das Gegentheil
jener Ausgleichung der Nationalvorurtheile herbei, welche man sich
von der Doppelstellung einst versprochen. Die Gleichgiltigkeit gegen
die angestammte Natur wuchs immer verhängnisvoller. Schon be-
gann in den fünfziger Jahren das heranwachsende Geschlecht sich
einer Sprache zu schämen und eine Litteratur zu ignoriren, „die doch
— wie sich der wackere Elsässer Gustav Mühl ausdrückt — bis in
die letzte Zeit die kräftige Muttermilch der Gebildeten unter uns
gewesen und die, zu unserer eigenen Schande sei es gesagt! gerade
jetzt wieder reichlichere Anerkennung in Frankreich selbst findet.“
Zuerst war es selbstwerständlich, daß ein elsässischer Gelehrter
deutsch schrieb, dann wechselte man wol mit beiden Idiomen ab, und
zuletzt kennte es vorkommen, daß ganze schriftstellerische Existenzen
innerhalb des französischen Sprach= und Culturgebietes ihre Stelle
suchten. War es doch ein Mittel den Erfolg zu sichern. Deutsch-
Feschriebene Zeitschriften, welche den heimatlichen Interessen dienten,