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wenigstens durch einen ehrenvollen Verlust von Frankreich gefühnt
werden wollte. "
In Straßburg selbst klagte man nicht über die französische Ver-
theidigung, man entrüstete sich über die deutsche Beschießung. Wenn
sie die Kugelspuren auf dem Münster, die wolgetroffenen und kunst.
mäßig zusammengeschossenen öffentlichen Gebäude, wenn sie die
Ruinen der Voerstadt betrachteten, dann hätten, so heißt es, die Bürger
laut und entsetzt erklärt: Zwischen Deutschland und Straßburg lägen-
die Trümmer der Belagerung als ewige Scheidungswände jeder
Versöhnung. Aber ist nicht auf dem Thurme des Münsters oben
die französische Kanonenkugel von 1678 in steinerner Inschrift ver-
ewigt, ohne daß sie die zahlreichen Generationen verhinderte, die
da unten im Wechsel des Lebens den Notwendigkeiten der Zeiten
nachgegeben, sich sogar für gute Franzosen zu halten?
Dazu gehört keine große Weissagungskunst, um behaupten zu
können, daß Straßburg zuerst und am schnellsten die „große Nation“
vergessen haben wird, denn wie die Größe seiner Vergangenheit, so
liegt seine Zukunft durchaus in Deutschland. Wenn an der Stelle
der Vaubau'schen Citadelle eine gesicherte und in ihrer Ausbreitung
unbehinderte neue Stadt bis an die Ufer des gewaltigen Rhein-
stromes sich ausdehnen, wenn das alte geliebte Kehl wieder gleichsam
die Vorstadt bilden, wenn man auf den großen Rheinbrücken nach
uralter Straßburger Gewohnheit herüber und hinüber wandeln wird,
ohne um Paß und Heimatsrecht gefragt zu werden, dann werden
auch die deutschen Kugeln am Münfter sorgfältig gesammelt mit
Inschriften geziert, und dem Fremden als die ersten allerdings
schmerzlichen Boten deutscher Befreiung gezeigt werden.
Genau an demselben Tage, an welchem vor hundert neun und
achtzig Jahren die ersten französischen Dragoner vor Straßburg er-
schienen, um den schmählichsten Raub ihres Königs zu vollführen,
capitulirte es vor den tapfern deutschen Soldaten, welche General
Werder führte. Und sollte man auch am Kleberplatz den Eroberer
von Straßburg nicht so rasch durch ein Standbild ehren wollen,