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rũhmte Philosoph und Mystiker Meister Eckard, ebenfalls ein
Dominicaner, um das Jahr 1312 nach Straßburg kam.
Eckard war vermuthlich ein Landsmann Luthers und um 1260
geboren. Als Prior von Erfurt lernen wir ihn zuerst kennen.
Seine Studien hat er in Koͤln und Paris gemacht, dann hohe
Vertrauensposten des Ordens bekleidet, jetzt übernahm er das Lehr-
amt an der Ordensschule in Straßburg und blieb hier etwa bis 1317,
um nachher demselben Berufe noch in Frankfurt und Köln obzuliegen,
wo er 1327 starb. Wenige Jahre vor seinem Tode haben Johannes
Tauler von Straßburg und Heinrich Suso von Konstanz zu seinen
Füßen gesessen und sind dann eifrige Verbreiter seiner Lehren Feworden.
Meister Eckard gilt noch heute bei solchen, welche das christliche
Dogma gern mit der Philosophie versshnen möchten, für einen Mann,
der sich im Besitz wichtiger Wahrheiten befand. Andere sehen in ihm
einen Vorläufer der Hegel'schen Religionsphilosophie. Und so viel
ist gewiß, daß er am Pantheismus nahe vorbeistreifte und daß die
Kirche nach seinem Tode mehrere seiner Lehrsätze, denen sie ketzeri-
schen Sinn beimaß, verdammte. Wir unsererseits bewundern an
dem Manne vor allem die persönliche Energie des Denkens, die es
wagte und durchsetzte, den kirchlichen Gedankenkreis in zum Theil
origineller Weise speculativ zu verarbeiten — wir bewundern die
Energie des Sprachgefühls, welche deutschem Wort und Laut das
Gebiet der abstracten Gedanken ganz neu eroberte — wir bewundern
die Energie des Charakters, die mit der Wucht der schwersten philo-
sophischen Lösungen sich nicht innerhalb des kleinen Kreises der Ge-
lehrten hielt, sondern frei und muthig vor die Welt trat. Meister
Eckard ist der Ahnherr der deutschen Philosophie, der Philosophie in
deutscher Sprache, und er ist der Ahnherr des deutschen Mysticismus.
Der Mysticismus ist nur eine der vielen Gestalten, welche der
christliche Spiritualismus annimmt, eine der vielen Formen, in denen
das Christenthum gegen die Sinnlichkeit ankämpft und den Versuch
macht, des Menschen Leib zu einem überflüssigen, höchst schädlichen
Anhängsel der Seele zu degradiren. Wenn sich Nonnen zu Unter-