Ostpreußen endgültig befreit 105
Gleichzeitig nahm der Russe Tauroggen und drängte scharf in Rich—
tung Tilsit vor. Die Kämpfe an den übrigen Fronten hatten die Reserven
verbraucht. Jetzt mußte das stellvertretende Generalkommando des
II. A. K. aus Stettin ein Ersatzbataillon schicken; ein Zeichen, wie sehr wir
uns verausgabt hatten, und wie stark die Kämpfe seit Anfang Februar an
unserer Kraft zehrten. Am 21. März war Memel wieder befreit, und am
22. wurden noch 3000 Verschleppte dem Gegner abgenommen. Die Russen
hatten unglaublich gehaust. Tauroggen fiel am 29. März. Die 6. Kav. Div.
wurde in jenes Gebiet verlegt und sicherte von nun ab die Grenze auf
litauischem Boden.
Ostpreußen war von neuem befreit und ist von weiteren feindlichen
Einfällen verschont geblieben. Mit seinem Wiederaufbau konnte begonnen
werden.
Das Hauptquartier befand sich seit Mitte Februar in Lötzen. Für mich
waren es bis Anfang April schwere Tage gewesen. Die Hoffnungen, die ich
auf eine unmittelbare strategische Ausnutzung der Winterschlacht gehegt
hatte, mußte ich beiseite legen. Taktisch war sie geglückt, das erfüllte mich
mit Genugtuung. Ich war befriedigt, daß die großen Angriffe des Groß-
fürsten zusammengebrochen waren und wir überall auf feindlichem Gebiete
standen. Der Entscheidung gegen Rußland, und auf die kam es mir in
meinem innersten Denken und Fühlen zunächst an, hatten wir uns aber
doch nur um einen Schritt genähert. Der große russische Kräfteverbrauch
gegen Ost= und Westpreußen sollte später die Operationen in Galizien för-
dern. Die Verluste der Russen waren zudem im Vergleich zu den unfrigen
außerordentlich hoch. Selbst Rußlands großer Menschenreichtum konnte
solchen Ausfall nicht ohne weiteres auf die Dauer decken.
Die einzelnen taktischen Lagen hatten meine volle seelische Spann-
kraft gefordert. Es läßt sich nicht alles auf dem Papier niederschreiben,
das stolze Hoffen, das Zagen des Herzens, die Enttäuschung, das Durch-
ringen zum Entschluß, Mißmut über dies und jenes. Es lassen sich nicht
die Reibungen schildern, die in vielen Fällen zu überwinden waren, auch
nicht das wiedergeben, was ich für die Truppen empfand, die bei ungün-
stigster Witterung die Anstrengungen eines Winterfeldzuges zu ertragen
hatten. "
Später erlebte ich in Lötzen bessere Tage.
Unser Quartier und die Geschäftszimmer waren eng, ich habe mich
aber in ihnen wohlgefühlt. Gern denke ich an jene Zeit in dem freund-
lichen ostpreußischen Städtchen zurück.
Noch während der Kämpfe war der Ausbau rückwärtiger Stellungen
eine unserer vornehmlichsten Aufgaben. An der ganzen Ostgrenze
Preußens entstand ein Stacheldrahtzaun als erster Bestandteil des