Nebenangriffe in Polen 109
Es stand zu erwarten, daß dem deutschen Angriff gegen Rußland
feindliche Entlastungsangriffe an der Westfront folgen würden. Die span-
nungsvollen und krisenreichen Kämpfe bei La Bassée und Arras im Mai
zeigen, was die Oberste Heeresleitung auf sich nahm, als sie den Entschei-
dungskampf im Osten wagte.
General v. Mackensen erhielt mit der neu zu bildenden 11. Armee, die
im wesentlichen aus Truppen aus dem Westen bestand, die Weisung, An-
fang Mai in Westgalizien in die Flanke der in den Karpathen mit großer
Todesverachtung angreifenden Russen zu stoßen und sie zu schlagen. Er
war ein großzügiger, vornehmer Mann und glänzender Soldat, dessen
Taten in der Geschichte aller Zeiten fortleben werden. Sein Chef des
Generalstabes wurde Oberst v. Seeckt, der bisherige Chef des Generals
v. Lochow, durch seine Geistesschärfe und klare Gemessenheit eine der am
stärksten hervortretenden Erscheinungen des Krieges.
Die 9. Armee übernahm Generalfeldmarschall Prinz Leopold von
Bayern, der diese höchste militärische Würde mit Recht trug. Er unter-
stellte sich bereitwillig dem dienstlich erheblich jüngeren Generalfeldmar=
schall v. Hindenburg.
Der Oberbefehlshaber Ost erhielt den Auftrag, an seiner Front zu de-
monstrieren, um feindliche Kräfte zu binden.
II.
Die 9. Armee hatte eine ruhige Zeit hinter sich. Anfang März glaubte
sie, nördlich der Pilitza einen Erfolg erringen zu können, und griff unter
vielen Reibungen örtlich an; sie war aber bald genötigt, davon Abstand
zu nehmen.
In Ausführung der Weisung der Obersten Heeresleitung sollte sie
jetzt bei Skiernjewitze angreifen. Wir hatten Gas erhalten und erwarteten
durch dessen Verwendung einen großen taktischen Erfolg, da der Gasschutz
der Russen noch nicht durchgebildet war. Auch bei der 10. Armee östlich
Suwalki konnten wir uns von einem Angriff örtliche Vorteile versprechen.
Er wurde demgemäß befohlen.
Der Gasangriff der 9. Armee, der am 2. Mai stattfand, glückte nicht.
Der Wind war günstig, aber die Anweisung der Truppe war nicht richtig.
Das Gas strich wie beabsichtigt ab, die Truppe aber wähnte, der Feind
dürfe sich nicht mehr rühren. Als er nun doch stellenweise schoß und
auch die eigene Artillerie anscheinend nicht ordentlich in Wirkung trat,
griff die Infanterie nicht an. Sie nahm an, das Gas habe nicht gewirkt.
Die 9. Armee hatte mit Gas Unglück. Als sie später, nicht mehr im
Rahmen dieser großen Lage, den Gasangriff an gleicher Stelle wieder-