112 Der Sommerfeldzug gegen Rußland 1915
hielt wichtige industrielle Anlagen, darunter eine der größten Stacheldraht-
fabriken Rußlands. Oberstleutnant Hoffmann schlug einen Handstreich
vor. Ich ging darauf ein. Viel Truppen hatten wir nicht. Die 3. Kav. Brig.
unter Oberst v. der Schulenburg, zwei bis drei Bataillone und einige Bat-
terien der bereits dort befindlichen Reserve-Divisionen sollten sich der
Stadt von Osten nähern, während ein Landsturm-Bataillon längs der
Küste von Süden her anrückte und Torpedoboote von See her angriffen.
Die Festung wurde nicht ernstlich verteidigt. Die Werke wurden von der
Besatzung gesprengt, Küstengeschütze stellten sich als Attrappen heraus.
Die schwache Besatzung von 1500 Mann ergab sich, als unsere Truppen
von Süden und OÖsten her eindrangen. Die Einnahme von Libau war
keine Waffentat, von der später die Weltgeschichte reden wird, sie war aber
ein glückliches Unternehmen, an das alle Beteiligten sich gern erinnern.
Daß es ohne Verluste ausgeführt wurde, war besonders wertvoll; das
entsprach meinem Bemühen, Erfolge mit geringen Einbußen zu erreichen.
Die Truppe kann stolz sein, wenn sie hohe Verluste ertragen kann und da-
durch siegt. Der Führer hat anders zu denken.
III.
General v. Mackensen hatte in den Morgenstunden des 2. Mai die
russische Front am mittleren Dunajek in einem wohlvorbereiteten und von
den Truppen glänzend ausgeführten Angriff durchbrochen. In den
nächsten Tagen wurde die zweite und dritte russische Stellung genommen.
Darauf ging der Russe aus Ungarn über den Karpathenkamm nach Norden
zurück. Ungarn war befreit und die k. u. k. Armee nunmehr entscheidend
entlastet. Es war Zeit, denn Italien trat in diesen Tagen in den Krieg.
Seine Armee zählte über 600 000 Mann ohne die vielen Formationen
zweiter Linie, die nicht unmittelbar für den Kampf in Betracht kamen.
Es bildete einen ungeheuren Kräftezuwachs für die Entente. Im
September war die Gesamtstärke der italienischen Fronttruppen schon auf
900 000 Mann gestiegen. "
General v. Mackensen drang unaufhaltsam gegen den San auf Jaros-
lau vor und erstürmte den Brückenkopf am 15. Mai. Die k. u. k. Nachbar-
armeen hingen sich zu beiden Seiten den vorwärtsdrängenden deutschen
Truppen an, auch die deutsche Südarmee griff an und gewann nordwärts
über Stryj hinaus Gelände. Przemysl wurde Anfang Juni den Russen
wieder entrissen.
Nördlich der oberen Weichsel gab der Russe die Nida auf, um gegen
die Weichsel zurückzuweichen. General v. Woyrsch konnte sich Mitte Mai
unter Festhaltung seines linken Flügels bis Kielce vorschieben.