Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

Der Angriff über den Narew 117 
  
  
Armee Mitte Juli ebenfalls den Angriff begonnen und war weit in öst- 
licher Richtung vorgedrungen. 
Ich vertrat nunmehr die Ansicht, daß es Zeit sei, die von mir ge- 
wünschte Operation am unteren Njemen auf Kowno und von da in den 
Rücken der Russen mit starken Kräften auszuführen. Die Truppen konnten 
der Armeeabteilung Woyrsch, der 9., 12. und 8. Armee entnommen werden. 
Schon war es spät geworden, die Wegnahme von Kowno erforderte Zeit, 
und der russische Rückzug in Galizien war bereits weit gediehen. Es er- 
schien aber noch möglich, Großes, jedenfalls Größeres zu erreichen als bei 
der im Gange befindlichen Operation. Diese konnte nicht anders enden als 
mit einem rein frontalen westöstlichen Zurückdrängen des Feindes. 
Die Oberste Heeresleitung behielt ihren bisherigen Standpunkt bei. 
Es blieb bei einer Operation über Weichsel und Narew. Wir durften die 
dabei beteiligten Armeen nicht zugunsten der 10. und Njemen-Armee 
schwächen. Der 12. und 8. Armee wurde durch die Oberste Heeresleitung 
je eine neue Division aus dem Westen zugeführt. Ob die Oberste Heeres- 
leitung aus Gründen, die der allgemeinen Kriegslage entsprangen, sich 
nicht mehr in eine so weite Operation einlassen wollte, wie sie von uns 
vorgeschlagen wurde, vermag ich nicht zu übersehen. 
Die 9., 12. und 8. Armee blieben in ihrer von der Obersten Heeres- 
leitung festgelegten Stärke in der früheren Vormarschrichtung. Die Weg- 
nahme von Nowo Georgiewsk wurde eingeleitet. Zugleich beschlossen wir 
Kowno anzugreifen und die Rjemen-Armee in ihrem Angriffe zu belassen; 
beides so gut es ging. 
V. 
Die Bewegungen der verbündeten Armeen in Polen östlich der 
Weichsel führten, wie ich erwartet hatte, zu einem frontalen Nachdringen 
mit ununterbrochenen Kämpfen. Auch hier wurden immer wieder vergeb- 
lich Versuche gemacht, zu einer Umfassung der Russen zu kommen. Die 
russische Armee wurde zwar in Bewegung erhalten, aber sie entkam. Sie 
machte häufig mit starken Kräften erbitterte Gegenangriffe und fand in 
den vielen versumpften Fluß= und Bachabschnitten immer wieder Gelegen- 
heit sich zu ordnen und erfolgreich längeren Widerstand zu leisten. 
Die Anstrengungen unserer Truppen waren allein durch die ununter- 
brochene Bewegung während vieler Wochen auf schlechten Wegen und bei 
meistens ungünstiger Witterung außerordentlich groß. Bekleidung und 
Schuhzeug rissen ab. Die Verpflegung wurde schwierig, Unterkunft gab 
es kaum, da der Russe systematisch Verpflegungsmittel und Ortschaften 
zerstörte oder verbrannte. Er trieb das Vieh mit sich fort, um es dann an 
der Landstraße verenden zu lassen. Die mitgeschleppte Bevölkerung wurde
	        
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