Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

Die Erstürmung von Kowno 123 
  
acht Wochen. Die 12. Armee mußte dabei weit nach Süden ausholen. Wie- 
viel günstiger wäre es gewesen, wenn an Stelle dieser Bewegung sich der 
Angriff über Lomsha—Grodno ermöglicht hätte. Das konnte nicht sein. 
Aber auch eine Operation nördlich Grodno vorbei, mit der Wegnahme von 
Kowno verbunden, hätte erheblich schneller und wirkungsvoller diese 
Gegend erreicht und mehr bewirkt, wenn sie mit voller Kraft selbst erst in 
der ersten Augusthälfte geführt worden wäre. 
Vorübergehend schien es, als ob die Oberste Heeresleitung in dieser 
Lage den Vormarsch nach Osten einstellen wollte. Sie führte starke Teile der 
Armee des Generalfeldmarschalls v. Mackensen, später auch der 12. und 
8. Armee, nach dem Westen und Südungarn. Sie ließ aber den einmal 
durch die inzwischen erfolgte Wegnahme von Kowno und unser Vordringen 
in Litauen und Kurland begonnenen Operationen freien Lauf. 
VIII. 
Die Erstürmung von Kowno war eine unerschrockene Tat. Um sie zu 
ermöglichen, mußte die 10. Armee in der Mitte und auf dem rechten 
Flügel ihrer so überaus weiten Stellung noch immer mehr und mehr ver- 
dünnt werden; nur so konnten wir westlich Kowno Angriffstruppen von 
einer gewissen Stärke zusammenziehen. Der Oberbefehlshaber OÖst und 
General v. Eichhorn nahmen diese Spannung an den übrigen Teilen ihrer 
Front auf sich. Der General hatte sich bei mir schon dauernd beklagt, daß 
die 10. Armee zu lange untätig wäre, und ging nun mit Freude an die 
neue Aufgabe heran. Er und sein Chef, Oberst Hell, waren Männer von 
hoher Verantwortungsfreudigkeit und Kühnheit. General v. Eichhorn war 
ein Offizier mit blendenden geistigen Eigenschaften und ein Erzieher seiner 
Truppen in vorbildlichem Sinne. 
Das verstärkte XXXX. A. K. unter General Litzmann sollte den An- 
griff durchführen. 
Der General war ein Feuerkopf mit großer Einwirkung auf den 
Soldaten. Seinen Kriegsruhm begründete er bei dem Durchbruch von 
Brsheshiny am 22. bis 25. November 1914. Er hatte einst gegen das Garde- 
offizierkorps geschrieben, aber bei diesem Durchbruch doch erkannt, welche 
Kraft von diesem Offizierkorps ausging. Ich selbst bin mit Stolz Linien= 
Infanterist gewesen und habe in dem Leibgrenadier-Regiment Nr. 8 ein 
Regiment kennen gelernt, in dessen Offizierkorps eine besondere Tradition 
wie in den Garde-Offizierkorps sich forterbte. Solche Traditionen sind be- 
rechtigt, dürfen aber nicht zur Bevorzugung und Überhebung führen; dann 
fangen sie an, verstimmend zu wirken und sind zu verwerfen. 
Erschwerend für den Angriff auf Kowno war der Mangel an schwerstem
	        
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