124 Der Sommerfeldzug gegen Rußland 1915
Steilfeuer. Das, was die Oberste Heeresleitung Ende Juli zuwies, mußte
vor Nowo Georgiewsk eingesetzt werden. Wir behielten im wesentlichen
nur einige Batterien übrig, die auf Schienen in Stellung gebracht werden
konnten und nur geringe Schußweiten hatten. Wir ließen uns indes
durch keine Schwierigkeiten abhalten und bauten die Bahnen. Daß der
Angriff nur zwischen der Eisenbahn Wirballen—Kowno und dem Njemen
geführt werden konnte, ergab sich aus der ganzen Lage. Der rechte Flügel
des Angriffs war dauernd ganz außerordentlich bedroht und um so mehr,
je weiter wir Gelände gewannen. Der Russe konnte ihn jeden Augen-
blick artilleristisch sehr wirksam flankieren. Der linke Flügel wurde nördlich
des Njemen durch eine Landsturm-Brigade gedeckt, die in Verfolg der
Offensive der Njemen-Armee über die Dubissa bis an die Nordwestwerke
von Kowno vorgeschoben wurde.
Anfang August waren die Eisenbahnen fertig. Nun fehlte es an
Munition für die schweren Feldhaubitzen. Ich gab meine Reserven aus;
der Feldmunitionschef-Ost, Oberstleutnant Rostock, hatte immer etwas vor-
rätig. So war endlich am 8. August alles mit Not und Mühe zusammen-
gebracht, und der Angriff konnte beginnen. Mit geringeren Mitteln ist
noch keine Festung angegriffen worden, aber die Truppe, die es tun sollte,
war von dem frischen Geist ihrer Führer beseelt.
In dieser Zeit stand der Russe, wie ich rückschauend erwähne, noch nahe
der Weichsel gegenüber Warschau.
Am 6. August wurde bereits die Infanterie in dem Angriffsstreifen
weiter nach vorn geschoben, um bessere artilleristische Beobachtung zu be-
kommen. Am 8. begann der Artilleriekampf. Eine Reihe starker Stel-
lungen mußte in den nächsten Tagen gestürmt werden. Die Kraft der An-
griffstruppen schien zu erlahmen. General Litzmann arbeitete sich trotzdem
bis zum 15. an die Fortlinie heran. Zum Glück erwies sich der Russe gegen
das Feuer der schwersten Artillerie wenig widerstandsfähig. Dadurch gelang
es dem frischen Zugreifen einer Kompagnie, der sich die anderen Truppen
anschlossen, am 16. in die westliche Fortlinie einzubrechen. Am 17. setzte
General Litzmann über den Njemen und nahm die Stadt und die OÖstforts.
Die Beute war geringer als bei der Einnahme von Nowo Georgiewsk. Es
war kein Angriff auf eine eingeschlossene Festung, ihr Rücken blieb offen.
Über die Ostfront stand sie in Verbindung mit ihrem Heere. Warum dieses
nicht geholfen hat, ob der schnelle Fall der Werke ihm überraschend kam,
ist mir nicht bekannt geworden.
Sämtliche Brücken, auch die so wichtige Eisenbahnbrücke, und der
Tunnel auf dem östlichen Ufer waren zerstört, dieser zum Glück nicht nach-
haltig. Er wurde bald wieder hergestellt. Wir konnten darauf einen ge-
wissen Verkehr östlich des Njemen in Richtung Wilna eröffnen, noch bevor