126 Der Sommerfeldzug gegen Rußland 1915
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geworden. Er gab Grodno vor dem Angriff des rechten Flügels der
10. Armee und namentlich der 8. Armee überraschend schnell auf. General
v. Scholtz nahm mit der 75. Res. Div. schon am 1. September die Südwest-
werke der Stadt, am 2. nach heftigen Straßenkämpfen diese selbst. Unweit
östlich Grodno an der Kotra und dem nördlichen Zufluß aus dem Osjery-
See traf auch er auf starken feindlichen Widerstand.
Die Belagerungsartillerie war unnötig geworden. Sie wurde nun
der Obersten Heeresleitung zur Verfügung gestellt.
General v. Gallwitz erreichte kämpfend den Swislotsch. Heeresgruppe
Prinz Leopold von Bayern hatte den Bjalowieser Forst durchschritten, der
übrigens kein ungangbares Sumpfgebiet, sondern von Wegen gut durch-
schnitten ist. Weiter südlich befanden sich die Truppen noch im Vorrücken
auf Pinsk.
IX.
Die Kämpfe der Njemen-Armee in den Monaten Juli und August
hatten bisher nur insofern in unmittelbarem Zusammenhang mit den
großen Operationen gestanden, als sie feindliche Kräfte auf sich zogen. Ein
taktisches Zusammenwirken der 10. und Njemen-Armee auf ihren inneren
Flügeln am Njemen war naturgemäß vorhanden. Mit dem Beginn des
Angriffs auf Kowno wurde dies Zusammenarbeiten immer enger und
führte bei der Einnahme der Festung zum Kampf auf dem gleichen
Schlachtfelde, um sich dann wieder zu lockern. Nunmehr sollte der opera-
tive Zusammenhang scharf in den Vordergrund treten.
General Otto v. Below führte den Krieg auf einem abgesonderten
Kriegsschauplatz und war daher in seinen Maßnahmen selbständiger als
die anderen Armee-Oberbefehlshaber, die in engerem Rahmen fochten. Wir
konnten uns mit allgemeinen Weisungen für die Kampfführung begnügen.
Die Rjemen-Armee hatte bis Mitte Juli die Linie der Dubissa bis süd-
westlich Schaulen, die Wenta und Windau bis in Höhe von Hasenpot und
hinüber bis zur Küste gehalten. Für den Beginn der Operationen wurde
General v. Below befohlen, den bei Schaulen stehenden starken Feind um-
fassend anzugreifen und, unter Sicherung seines linken Flügels gegen
Riga, nördlich des Rjemen nach Osten Gelände zu gewinnen. Die
Operation lag in besonders guten Händen. General v. Below, der
schon im Frieden für einen besonders tüchtigen Offizier und einen selbstän-
digen Charakter galt, hatte während der Schlacht von Tannenberg mit
klarer Umsicht geführt und sich in der Schlacht an den masurischen Seen
durch seine zweckmäßigen Anordnungen ausgezeichnet. Generalfeldmar-
schall v. Hindenburg schätzte seinen männlichen und geraden Charakter ganz
besonders hoch ein und schlug ihn auch im November Seiner Majestät als