Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

132 Der Sommerfeldzug gegen Rußland 1915 
noch lange an. Die Njemen-Armee hoffte immer noch, den Brückenkopf zu 
nehmen. Der Nachschub an Munition war aber zu ungünstig, als daß an- 
gegriffen werden konnte. Die Kämpfe wurden daher auf meinen Wunsch 
eingestellt. 
Die Front kam bis in die Karpathen hinein zur Ruhe. 
Der Sommerfeldzug gegen Rußland war beendet. Der Russe war 
geschlagen und frontal zurückgedrängt worden. Die Operation über Kowno 
hatte keinen größeren Erfolg davongetragen, da sie zeitlich zu spät gekom- 
men war. Hierin liegt der Hauptgrund. Der Gegner hatte die ihm 
drohende Umfassung an der Wilija zu verhindern vermocht. Hätte er einige 
Tagemärsche weiter westlich gestanden, so wäre er hierzu nicht in der Lage 
gewesen. « 
Wir haben im Osten und Westen während des ganzen Krieges 
keinen großen strategischen Durchbruch in allen seinen Folgen zu Ende 
führen können. Der zwischen Wilna und Dünaburg ist der weitest vor- 
geschrittene. Er zeigt, wie der strategische Durchbruch erst durch darauf- 
folgende taktische Umfassung seine ganze Auswertung erlangt. Der bul- 
garischen Armee blieb es im September 1918 vorbehalten, der Welt die 
schwerwiegenden Folgen einer solchen Operation zu zeigen. Sie waren 
aber nur bei dem vollständigen Versagen des bulgarischen Heeres möglich. 
Die hohe Spannung der Septembertage hatte uns wiederum nur 
einen taktischen Erfolg gebracht. Außerordentlich kritische Lagen waren zu 
überwinden gewesen. Der Kampf der 1. Kav. Div. bei Smorgon auf 
der Rückzugslinie des Feindes war von tragischer Größe. Dicht vor dem 
Eintreffen der Infanterie mußte sie mit starken Verlusten weichen. Auch 
die Lage auf dem Südflügel der Njemen-Armee war dauernd bedenklich, 
das Zurückschwenken der 10. Armee in hohem Maße gefahrvoll. Das alles 
trat aber zurück vor der die Nerven spannenden Erwartung: kommt die 
Infanterie auf den schlechten Wegen schnell genug vorwärts, um die Um- 
fassung, die von den Kavallerie-Divisionen so verständnisvoll eingeleitet 
war, zu einer endgültigen zu machen? Solche Spannung kann nur der 
ganz verstehen, der sie mitgemacht hat und der mit Herz und Verstand an 
ihr beteiligt ist. 
In der Niederringung Rußlands hatten wir einen neuen, großen 
Schritt vorwärts getan. Der starkwillige Großfürst trat ab. Der Zar stellte 
sich an die Spitze des Heeres. 
Allerorts hatten unsere Truppen und Führung ihre Schuldigkeit ge- 
tan, und in dem deutschen Soldaten festigte sich mit Recht das Gefühl un- 
bedingter Überlegenheit über den Russen. Die Zahl verlor ihren Schrecken.
	        
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