158 Das Hauptquartier des Oberbefehlshabers Ost in Kowno Oktober 1915 bis Juli 1916
Um im Lande und den Armeen näher zu sein, gingen wir Ende
Oktober nach Kowno.
Der Generalfeldmarschall, die Herren des Generalstabes und ich fanden
Unterkunft in zwei Villen, die Herrn Tillmanns gehörten, einem Deutschen,
dessen Familienname unter den Deutschen Rußlands einen guten Klang
hatte. Er selbst war seit Beginn des Krieges in Deutschland. Der General=
feldmarschall, Oberst Hoffmann und ich wohnten zusammen in der einen
Villa. In ihr aß auch der engere Stab. Ich habe viele Stunden in diesem
Hause verlebt, es steht fest in meinem Gedächtnis.
Die Geschäftszimmer des Generalstabes waren in dem Militärgou-
vernementsgebäude. Charakteristisch für die damalige russische Kultur
waren die 50-Pfennig-Bilder des Zaren, der Zarin und des Großfürsten-
Thronfolgers. Die Räume waren groß, für unsere Zwecke geeignet und
in dem kommenden Winter gut heizbar.
Kowno ist der Typ einer russischen Stadt mit niedrigen, unansehn-
lichen Holzhäusern und verhältnismäßig breiten Straßen. Von den Höhen,
die die Stadt eng umschließen, hat man einen interessanten Blick auf die
Stadt und den Zusammenfluß des Njemen mit der Wilija. Jenseits des
NRjemen liegt der Turm eines alten deutschen Ordensschlosses als ein Zeichen
deutscher Kulturarbeit im Osten und nicht weit von ihm ein Markstein fran-
zösischer Weltherrscherpläne, jene Höhe, von der Napoleon 1812 den Über-
gang der großen Armee über den Strom beobachtete.
Gewaltige geschichtliche Eindrücke stürmten auf mich ein:
Ich beschloß, die Kulturarbeit, die die Deutschen während vieler Jahr-
hunderte in jenen Ländern getan hatten, in dem besetzten Gebiet aufzu-
nehmen. Aus sich heraus schafft die buntgemischte Bevölkerung keine Kul-
tur, auf sich allein angewiesen, verfällt sie dem Polentum.
Ich war stolz darauf, daß wir vor über hundert Jahren nach Zeiten
echt deutscher Schwäche und bitterster Not fremdes Joch abgeschüttelt
hatten. Jetzt stand dasselbe Deutschland, von Napoleon, weil morsch, zer-
schlagen, dann durch große Männer geeint, in diesem Weltkriege dem über-
legenen Feinde siegreich gegenüber und hatte glänzende Erfolge davon-
getragen. Ich hoffte auf den Sieg. Anders konnte es nicht kommen. Das
deutsche Volk hatte schon zu Schweres erlebt, um noch einmal sich so furcht-
barem Geschick auszusetzen. Die Männer, die Deutschland führten,
brauchten nur dessen Kräfte zu entfalten und das heilige Feuer zu schüren,
das in aller Deutschen Herzen — so meinte ich damals — lebte.
Eine glückliche Zukunft gesicherter Wohlfahrt schien sich für das Vater-
land aufzutun.
Durch die Umsiedlung von Lötzen nach Kowno wurde die Arbeit natur-
gemäß nicht einen Tag unterbrochen. Die erforderlichen Fernsprechleitun-