Wohlfahrtseinrichtungen 145
Die Njemen-Festungen Grodno und Kowno, auch Libau, wurden
verstärkt. Die ehemalige Grenzstellung wurde unterhalten. Sie sollten
als Rückhalt dienen. Zu weiteren Maßnahmen genügten die Arbeitskräfte
nicht.
Die Aufgaben, die mir unmittelbar aus der Sorge für die Armeen
erwuchsen, wurden sehr wesentlich durch Anforderungen von Heer und
Heimat an das besetzte Gebiet sowie durch die Pflicht erweitert, für seine
Bevölkerung zu sorgen. Ich machte mich gern an diese mir nach vielen
Richtungen hin neuen Arbeiten und hatte den festen Entschluß, etwas
Ganzes zu schaffen.
IV.
Das Land befand sich durch den Krieg in einem verwahrlosten Zu-
stande, nur da, wo wir länger gestanden hatten, herrschte bereits Ordnung.
Die Bevölkerung war dem weichenden Russen teils freiwillig voraus-
gezogen, teils von ihm mitgeführt. Sie hatte sich stellenweise in den
großen Waldungen versteckt und kehrte nun wieder heim. Viele länd-
liche Besitzungen blieben jedoch verlassen. Die Felder waren noch nicht
abgeerntet. Wie es mit der Bestellung werden würde, ließ sich nicht über-
sehen. Jede Obrigkeit fehlte. Die russischen Regierungsbeamten und die
russischen Richter, der ganze russische Erobererstaat und fast die gesamte
heimische Intelligenz hatten das Land verlassen. Eine Polizei oder Gen-
darmerie war nicht da, nur die Geistlichkeit besaß eine gewisse Autorität.
Das flache Land hatte zu leben; in den Städten, namentlich in Wilna,
Kowno, Grodno, traten gleich zu Beginn der Besetzung ernste Verpflegungs-
schwierigkeiten auf, die sich steigern und auch auf die anderen Städte aus-
dehnen mußten. Holz für Heizzwecke war nicht genügend vorhanden.
Die Bevölkerung stand uns, bis auf die deutschen Teile, fremd gegen-
über. Diese, insbesondere die Balten, hatten die deutschen Truppen gut auf-
genommen. Der ette, als Opportunist, verhielt sich abwartend. Der Litauer
glaubte, nun schlüge für ihn die Befreiungsstunde; als die erhoffte bessere
Zeit infolge der eisernen Notwendigkeit des Krieges nicht gleich eintrat,
wandte er sich wieder ab und wurde mißtrauisch. Der Pole stand abseits in
feindlicher Haltung, denn er befürchtete von uns mit Recht eine litauische
Politik. Der Weißruthene kam nicht in Betracht, die Polen hatten ihm seine
Nationalität genommen, ohne ihm irgend etwas dafür zu geben. Ich wollte
mir im Herbst 1915 ein Bild über die Verteilung der Weißruthenen machen.
Sie waren buchstäblich zunächst nicht aufzufinden. Später erst zeigte es
sich, daß sie ein ganz verbreiteter, aber äußerlich polonisierter Stamm sind,
der auf so niedriger Kulturstufe steht, daß ihm nur bei langer Einwirkung
geholfen werden kann. Der Jude wußte noch nicht, welches Gesicht er zeigen
Kriegserinnerungen 1914—18. 10