158 Das Hauptquartier des Oberbefehlshabers Ost in Kowno Oktober 1915 bis Juli 1916
zu verwalten. Eine großzügige, aber in den Einzelteilen doch ungemein
feine Arbeit war geleistet worden.
VIII.
Die Gerichtsverfassung entsprach der Haager Landkriegsordnung. Diese
verlangte, daß die Bewohner privatrechtlich nach ihren Landesgesetzen abzu-
urteilen sind. Es mußte daher erst festgestellt werden, welche Gesetze über-
haupt galten. Das war bei den verworrenen russischen Verhältnissen, die auch
auf diesem Gebiete vor dem Kriege geherrscht haben, nicht leicht. Nachdem
die Gesetze gefunden waren, mußten sie ins Deutsche übersetzt werden,
damit die deutschen Richter danach Recht sprechen konnten. Ich glaube, kein
anderes Volk als das deutsche wird solche Umstände mit im Kriege ge-
nommenen Gebieten machen. Trotzdem hat es die feindliche Propa-
ganda verstanden, uns als Hunnen in der ganzen Welt derart zu ver-
schreien, daß wir nicht dagegen aufkommen können. Senatspräsident
Kratzenberg hat in seiner ruhigen Klarheit Vortreffliches geschaffen. Der
deutsche Richter hat hier in armen, verlausten litauischen Städtchen nach
fremden Gesetzen mit gleicher Objektivität und gleichem Ernst Recht ge-
sprochen wie in Berlin nach den eigenen Gesetzen. Wer macht uns dies nach?
Weitere Wohltaten sollten der Bevölkerung durch die Richtlinien für
die Schule gegeben werden, die Major Altmann, Vortragender Rat im
preußischen Kultusministerium, entworfen hat. Sie sind von hoher Warte
geschrieben und ließen jedes Bekenntnis und jeden Stamm zu seinem
Rechte kommen. Hier, wie überall, sollte alles ausgeschlossen werden, was
als Nadelstichpolitik wirken konnte. Für die Schule fehlte es an Lehrern.
Landsturmleute aus dem Lehrerstande halfen aus. Daß diese nur deutsch
mit den sich freiwillig einfindenden Kindern sprachen, ist uns später ver-
übelt worden. Die Lehrer kannten leider keine andere Sprache. Litauisch
und polnisch sprechende Lehrkräfte standen nur in ganz geringer Zahl zur
Verfügung. Auch der Schulbücherfrage wurde Aufmerksamkeit geschenkt;
wie durch Lehrmittel ein nationales Empfinden großgezogen werden
kann, das zeigten mir verschiedene polnische Lesebücher. Da waren
Danzig, Gnesen, Posen, Wilna polnische Städte. Diese Tatsache
machte auf mich einen gleich tiefen Eindruck wie die Folgerichtigkeit, mit
der Frankreich seine Jugend in ähnlicher Weise in dem Revanche-
Gedanken erzog. Polen und Franzosen haben damit ein starkes National=
gefühl in sich wach gehalten, das ihnen jetzt zugute kommt. Wir haben eine
solche Schulpolitik nicht getrieben und leiden darunter, daß unsere Jugend
nicht zum starken nationalen Denken angehalten ist. Ein solches Empfinden
ist notwendig, wenn ein Land Krisen überwinden will, wie wir sie seit