164 Das Hauptquartier des Oberbefehlshabers Ost in Kowno Oktober 1915 bis Juli 1916
Mitglied unseres Stabes war, auf zwei Tage nach Berlin zu fahren. Am
11. und 12. März war ich dort und erhielt Nachrichten, die den baldigen
Beginn des Angriffs wahrscheinlich machten. Es war mir eine Beruhigung,
als ich wieder in Kowno eingetroffen war.
Bereits am 16. begann der Russe sein Trommelfeuer, nicht bei
Smorgon, wie wir erwartet hatten, sondern gegen die Enge zwischen
Wischnjew= und Narotsch-See, zu beiden Seiten der Kleinbahn Swentz=
jany—Postawy und südwestlich Dünaburg. Der Artilleriekampf wurde
in einer bis dahin im Osten unerhörten Stärke geführt und am 17. fort-
gesetzt. Am 18. begannen die Infanterieangriffe und hielten mit Unter-
brechungen bis Ende März an.
Die Absicht der Russen war, unseren Nordflügel in Richtung Kowno
abzuschnüren und ihn gleichzeitig durch Angriffe an anderer Stelle ins
Wanken zu bringen. Im Nachstoß sollte er gegen die Küste nördlich des
Njemen geworfen werden. Der Plan war großzügig.
Das Abschnüren sollte dadurch eingeleitet werden, daß aus unserer
Front durch die beiden Angriffe zwischen der Seenenge und von Postawy
in Richtung Swentzjany ein Stück herausgeschnitten wurde. Das Front-
stück war breit und gut gewählt. Unsere Reserven wären nicht zahlreich
genug gewesen, um es wieder zu schließen. Sie kamen überdies bei den
schlechten Eisenbahnverbindungen nach dem Narotsch-See — die Bahn dort-
hin war erst im Entstehen — nur schwer auf das Schlachtfeld. War das
Loch geschlagen, so ergab sich das Weitere von selbst, der Weg in Richtung
Kowno war frei.
Die Angriffe gegen die weiter nördlich gelegene Front wurden südlich
des Dryswjaty-Sees bei Widsy und in der Hauptsache aus den Brücken-
köpfen von Dünaburg und Jakobstadt geführt.
In der Zeit vom 18. bis 21. März war die Lage der 10. Armee
kritisch, die zahlenmäßige Überlegenheit des Russen gewaltig. Am 21.
hatte er in der Seenenge einen für uns schmerzlichen Erfolg, auch westlich
Postawy war sein Ansturm nur mit Mühe aufgefangen. Der Boden war
aufgeweicht, in dem morastigen Gelände hatte sich das Tauwasser zu
Teichen gesammelt, die Wege waren buchstäblich grundlos. In aller Eile
von dem Oberkommando der 10. Armee und von uns herangeführte Ver-
stärkungen kamen von der Bahn Wilna—Dünaburg her im Sumpfe
watend nur langsam vorwärts. Eine ungeheure Spannung bemächtigte
sich aller, wie es weiter gehen würde. Aber der Russe, dessen Angriff über
noch ungünstigeres Gelände hinwegführte, als das in und rückwärts
unserer Stellungen, war erschöpft. Als am 26. der russische Ansturm einen
neuen Höhepunkt erreichte, hatten wir die Krise im wesentlichen überstanden.
Die Lage der Armeegruppe Scholtz und der 8. Armee war nicht