176 Das Hauptquartier des Oberbefehlshabers Ost in Kowno Oktober 1915 bis Juli 1916
gangen war, setzte am 13. Juni ein überaus starker russischer Angriff
gegen die Armeeabteilung Woyrsch ein. Er brach vollständig zusammen.
Es war ein ungemein schwerer Kampf. Die Heeresgruppe und General
v. Woyrsch hatten ihre Reserven verausgaben müssen.
Wir rechneten zu jener Zeit immer noch mit Angriffen bei Smorgon
oder, wie es jetzt wieder schien, auf den alten Schlachtfeldern vom März
sowie bei Riga. Hier stand der Russe nach wie vor mit sehr starken Kräften.
Trotzdem schwächten wir uns aufs äußerste, um den Armeen weiter
südlich zu helfen. Wir zogen für unsere lange Front Bataillone als Reserven
zurück. Ich bildete solche auch aus den Rekrutendepots, obwohl ich mir klar
war, daß dies nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein würde, wenn
der Russe einen wirklichen Erfolg irgendwo davontrug. Das Vertrauen in
unsere Truppen, daß sie auch bei dünner Besetzung ihre Stellungen halten
würden, war unbegrenzt. Unsere Spannung wuchs mit den fortschreitenden
Ereignissen.
Zunächst hatte sich der Russe vor unserer Front noch nicht merklich ge-
schwächt. Er mußte sich entschließen, ob er uns wirklich angreifen oder
seine Erfolge im Süden ausnutzen und festhalten wollte. Daß wir und
Österreich-Ungarn dorthin Verstärkungen senden würden, vermochte er sich
ohne weiteres zu sagen. Er suchte die Schlachtentscheidung an der österreichisch-
ungarischen Front, verfügte jedoch über so viele Reserven, daß er auch
unsere Front heftig angreifen und uns zum mindesten davon abhalten
konnte, noch weitere Kräfte nach Süden zu schicken.
Während die deutschen und die k. u. k. Truppen auf der Peripherie des
Lutzker Bogens, am Dnujestr und in den Karpathen eintrafen und in der
zweiten Junihälfte beinahe überall örtlich angriffen, führte der Russe seine
Verstärkungen in die Durchbruchstellen hinein und brachte die deutschen
Teilangriffe durch Gegenstöße zum Stehen.
Er zwang Mitte Juli nach erbitterten Kämpfen, bei denen die k. u. k.
Truppen wieder nur geringe Widerstandsfähigkeit zeigten, die deutschen,
im Lutzker Bogen ihre anfänglichen Erfolge aufzugeben. Er drang auch
nach Südwesten, Styr aufwärts, weiter vor. General v. Boehm-Ermolli
sah sich veranlaßt, seinen linken Flügel und seine Mitte auf die galizische
Grenze zurückzunehmen. Im Lutzker Bogen war der russische Angriff aber
aufgefangen. .
Südlich des Dnjestr nach den Karpathen zu gewann der Russe noch
weiter Gelände.
Während dieser Kämpfe an den beiden Hauptbrennpunkten erfolgten
starke russische Angriffe an der Front des Oberbefehlshabers Ost zwischen
Narotsch= und Wischnjew-See und bei Smorgon, bei der Heeresgruppe
Generalfeldmarschall Prinz Leopold nordöstlich und südlich Baranowitschi,